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28. März 2024

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„Eine Katastrophe für Europa“

„Eine Katastrophe für Europa“ © OeAW_Daniel Hinterramskogler

Gefährliche Schwelbrände, Luftbehauptungen der EZB, Zerfallsszenarien für Europa. Der Ökonom Hans Werner Sinn erläuterte an der Akademie der Wissenschaften das aktuelle Inflationsgeschehen und sparte dabei nicht mit Kritik an der EZB.

(red/czaak) Hans Werner Sinn, deutscher Wirtschaftswissenschaftler, bis 2016 Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung in München (D) und einer der wenigen deutschsprachigen Fellows des National Bureau of Economic Research in Cambridge (US) ist Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (OeAW) im Ausland. Der renommierte Ökonom hielt letzte Woche an der Akademie eine Vorlesung mit dem Titel “Die neue Inflation”. Im Interview mit der OeAW erklärt der Ökonom, warum Inflation wieder ein Thema ist, und was passiert, wenn man sie zu lange ignoriert. Economy bringt Auszüge daraus und publiziert den Link zum vollständigen Interview.

Die Verknappung von Vorprodukten für die Industrieproduktion
Die steigende Inflation ist derzeit in vielen Bereichen für Menschen wie Unternehmen spürbar. Allein letzten Jänner stiegen die Verbraucherpreise in Österreich um über fünf Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat und das bedeutet einen neuen Höchststand der Teuerungsrate. Gefragt zu den Ursachen sieht Hans-Werner Sinn im Gespräch mit der OeAW insbesondere „die Verknappung von Vorprodukten für die Industrieproduktion“ und nennt als Beispiel „Mikrochips, die wegen der Pandemie und damit gekoppelten Verwerfungen der Lieferketten fehlen“ sowie eine „generell zu hohe Nachfrage im System, während das Angebot niedrig ist.“

Verfehlte Wirtschaftspolitik von nationalen Haushalten und Banken
Auf die Frage zur Geldpolitik der Nationalbanken kritisiert Sinn, dass „diese Geldspritzen in nationale Haushalte und Banken geflossen sind, die das Geld auf die hohe Kante legten, anstatt es auszugeben oder als Kredite zu verteilen.“ Und explizit die Europäische Zentralbank (EZB) betreffend: „Die EZB sträubt sich massiv gegen Zinsanhebungen und beschützt damit überschuldete Länder der Eurozone, die zuvor durch diese Geldpolitik dazu ermuntert wurden und jetzt die Droge billiges Geld nicht einfach absetzen können.“

Das Beispiel der angekündigten Zinserhöhungen der US-Fed
Gefragt nach Alternativen für die EZB nennt Sinn das Beispiel der angekündigten Zinserhöhungen der US-Fed und fordert zudem einen Abbau der Zentralbankbilanzen mit einer entsprechenden Reduktion der Geldmengen. An den EZB-Aussagen zur weiteren Entwicklung der Inflation mit unter zwei Prozent zwischen 2022 und 2024 übt Sinn deutliche Kritik: „Das ist lediglich eine Behauptung, die aus der Luft gegriffen ist.“ Er fordert von der EZB einen an die Inflationsrate angepassten Zinssatz. „Inflation ist wie ein Feuer. Das muss man sofort austreten, sonst brennt es bald lichterloh“, so der Top-Ökonom im OeAW-Gespräch.

EZB muss die Geldmengen verknappen und die Zinsen anheben
Im weiteren Verlauf des Interviews geht Hans-Werner Sinn auf aktuelle und künftige gesellschaftspolitische Entwicklungen ebenso ein wie auf geopolitische Herausforderungen oder auf wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Ursachen für die Inflation. Sinn erläutert dabei auch historische Ereignisse wie den mit der damaligen Inflation einhergehenden Aufstieg Hitlers. Auch die ambivalente Situation von Sparern und Kreditnehmern ist Thema sowie die weitere Entwicklung der Inflation. Final ortet Hans-Werner Sinn eine mögliche Gefährdung des Euros und der Europäischen Einheit. Aber: „Wir müssen das nicht hinnehmen – die EZB kann und muss die Geldmengen verknappen und die Zinsen anheben“, resümiert der Ökonom im Gespräch mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Links

red/czaak, Economy Ausgabe Webartikel, 15.03.2022