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04. Juli 2024

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Traum und Wirklichkeit der Reisebranche

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Personalisierte Pauschalreisen sind das Gebot der Stunde. Geld lässt sich damit auch verdienen. Der derzeitige Stand der Technik erlaubt jedoch wenig Spielraum, und neue Lösungen harren der Verbreitung.

Die Welt ist zwar noch nicht zur Gänze online erhältlich, doch die Informationstechnologie spielt eine wesentliche Rolle in jedem Geschäftsleben. Der Tourismus ist davon wohl am stärksten betroffen, denn beinahe jede Reise beginnt mit Google. Welcher Anbieter kann sich da noch leisten, nicht ausfindig, erreichbar und buchbar (eventuell auch stornierbar) zu sein?
Das deutsche Institut für E-Tourismus und der Tourismuskonzern Thomas Cook organisierten ein Workshop zur Zukunft des E-Tourismus, dessen Ergebnis in einem Thesenpapier zusammengefasst wurde. Es definiert die Herausforderungen, vor denen die Touristik steht, und die Probleme, mit denen sich die Branche auseinandersetzen muss.
Die Bedürfnisse der Reisenden werden immer differenzierter. Sie erwarten sehr individuelle, persönlich zugeschnittene Angebote. Um diese zu schnüren, benutzen die Reisevermittler Informationstechnologie, deren Systeme für solche Aufgaben zu starr sind: Die Daten befinden sich in nicht standardisierten Formaten und können nur mit viel Aufwand ausgetauscht werden. Die Schnittstellen sind geschlossen, um weitere, vor allem kleinere, aber speziellere Anbieter anzubinden. Ihre Systeme sind proprietär und teuer. Hier ist wenig Spielraum für Individualisierung offen. Full-Service-Angebote der großen Player und ihrer etablierten Partnerstrukturen sind dadurch nicht sehr flexibel.

Personalisierte Pauschalreise
Die neue Devise heißt daher „Best Service“, auf Kundenwünsche eingehend, individualisiert. In technische Sprache übersetzt heißt Individualisierung Modularisierung. Es sollen in Zukunft modularisierte Services angeboten werden, aus denen der Reisende oder der Reisevermittler frei wählen und individualisierte Angebotspakete schnüren kann.
Zusätzlich zum Hotelzimmer kann auch ein Fahrrad geliehen, ein Taucherkurs gebucht, ein Skipass gekauft oder ein Konzertticket reserviert werden. Die Reiseveranstalter und Vermittler verwenden API (Application Programming Interfaces, deutsch für offene Programmschnittstellen), Widgets, semantische Technologien und Web 2.0-Technologien, um diese bestens zu integrieren. Darin besteht die Möglichkeit – auch für neue Portale –, einen Markt für sich zu finden und neben den großen Playern zu überleben. Seit die These über „Long Tail“, dass Nischenmärkte genauso erfolgreich sind wie der Massenmarkt, von mancher Erfolgsstory bestätigt wurde, könnte eine Vermehrung von Vertriebskanälen für einzelne Serviceanbieter wie auch Reiseveranstalter ein lukratives Geschäft werden.
Eventuell alles nur Zukunftsmusik? Katharina Siorpaes von STI Innsbruck stellte im Rahmen ihrer Studie zur semantischen Ontologie (Daten werden automatisch erfasst und verarbeitet) für die Tourismusbranche fest, dass noch vor Kurzem im Angebot des österreichischen Buchungsportals Tiscover acht von zehn Hotels keine aktuelle Verfügbarkeit ihrer Zimmer lieferten. Rund 73 Prozent der Hotels hatten nicht einmal eine Preisliste angegeben. Wie kann man daraus modularisierte und personalisierte Angebote schnüren? Ebenso angebracht ist die Frage, warum überhaupt so ein Zustand herrscht.
Seekda.com, ein Spin-off der STI Innsbruck, ging diesem Problem nach und stellte fest: Die Kanäle für den Online-Vertrieb der freien Zimmerkontigente sind zeit- und kostenaufwendig. Größere Hotelketten haben dafür teure IT-Lösungen und ausreichend IT-Ressourcen, doch für kleinere und mittlere Unternehmen in der Hotelbranche ist es nicht leistbar, das Internet „im vollen Umfang“ zu nutzen, also als einen vollautomatisierten Vertriebskanal auszubauen. Sollte ein Hotel zehn verschiedene Portale wie Tiscover mit eigenem Angebot beliefern, bräuchte es eine hoch qualifizierte Arbeitskraft, um diverse Schnittstellen zu bedienen und dann täglich mehrere Stunden Arbeit, um die geforderte Akutalität zu warten.

Schlanke Lösung gefragt
Seekda ist wissenschaftlich im Bereich Datenmediation, Servicekomposition und semantische Technologie tätig. So erkannte man in dieser Problematik eine Herausforderung für eigene Technologien und entwickelte eine neuartige Produktpalette, die auf Anhieb vielen „Thesen“ zur Zukunft des Tourismus Fleisch zu geben scheint.
Channel Manager ist ein Produkt für Hoteliers zur Distribution und Aktualisierung von Buchungsinformationen in allen verfügbaren indirekten Online-Vertriebskanälen über ein einziges Web-Interface. Dynamic Shop ermöglicht Hoteliers sowie Anbietern von touristischen Dienstleistungen ihre Palette durch Einbindung zusätzlicher lokaler touristischer Leistungen (zum Beispiel Skipässe, Event-Tickets, Flughafen-Shuttle und Ähnliches) zu erweitern und so ein individualisiertes Angebot aus einer Hand an einem Ort zu bündeln. Dynamic Link ermöglicht jedem Portalbetreiber beziehungsweise Reiseveranstalter die Anbindung diverser vorhandener Tourismusdienste rund um sein Thema oder um seine Region.
Die Chancen für die Entstehung neuer kooperativer Netzwerke rund um den Tourismus, die auch kleinere und kleinste Anbieter integrieren, scheinen gegeben zu sein. Ihnen soll möglich sein, ganz individuelle Reisebedürfnisse zu befriedigen. Ob diese Technologien und ein kleines europäisches Spin-off die Kraft haben, die Karten auf dem Markt neu zu mischen, wird sich noch zeigen.

Irina Slosar, Economy Ausgabe 75-08-2009, 21.08.2009