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27. April 2024

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Wo Topmanager lernen, mit den Wölfen zu heulen

Wo Topmanager lernen, mit den Wölfen zu heulenPhotos.com

Wenn die Zeiten wirtschaftlich härter werden, richtet sich der Fokus der Management-Berater sehr gern auf das Tierreich – und dessen Erfolgsrezepte im Kampf um die Existenz.

Das Tierreich scheint in der Ma- nagement-Beratung neuerdings Hochkonjunktur zu haben. „Was Manager von Wölfen lernen können“, so betitelte etwa das Hamburger Abendblatt kürzlich einen ausführlichen Report über ein Führungskräfte-Seminar im Wildpark Lüneburger Heide. Die Kosten dieses wölfischen Erlebniscoachings: ein Tagessatz von 950 Euro plus Mehrwertsteuer. Der Journalist Mark Hübner-Weinhold zeigt sich vom Sozialverhalten der Grautiere jedenfalls total begeistert: „Jeder hat seine Aufga- ben. Und alle reagieren äußerst flexibel. Ein Wolfsrudel ist das perfekte Team – und damit ein Vorbild fürs Unternehmen.“

Jagen und erlegen
In welcher Hinsicht genau, das bringt der Management- Trainer Rainer K. Lessing, der auch die Idee zu diesem Workshop hatte, auf den Punkt: „Die Urmenschen haben den Wölfen abgeschaut, wie sie intelligent und energiesparend aus einer wandernden Herde von Huftieren, also Hirschen, Büffeln oder Elchen, im Rudel Beute jagen und erlegen.“ Und entscheidend für diese wölfischen Jagderfolge sei „die hohe Sozial-Intelligenz des Alpha-Wolfspaares und der gesamten Organisation des Rudels“.
Was einen Wolf zum Alpha- tier letztlich qualifiziert? Indem er sich den Top-Platz in dieser „dynamischen Hierarchie“ erkämpft. „Solche Rangordnungs- kämpfe können brutal sein. Ein Angriff kann ohne Vorwarnung, ohne gefletschte Zähne, Knur- ren oder aufgestellte Nacken- haare erfolgen. Dabei ist sogar die Beißhemmung der Wölfe herabgesetzt: Verletzungen sind manchmal tödlich.“ Homo homini lupus: so die „Management- Weisheit“ im Originalton.
Nun, angesichts solch ata- vistischer Rollenvorbilder für probates Führungsverhal- ten scheint zumindest eine logische Folgerung nicht leicht von der Hand zu weisen sein: Wenn die Zeiten wirtschaftlich härter werden, dann blüht auch der Sozial-Darwinismus wieder auf – und dies mitten in der Wohlstandsgesellschaft. Längst überwunden geglaubte Einstellungen und Werte erle- ben unreflektiert ein Revival: „Wölfe durchlaufen wie Menschen einen Sozialisierungs- prozess. Beim Hineinwachsen in die Rangordnung des Rudels erlernen sie Regeln und erkennen, wo ihr Platz ist.“
Die apodiktisch vorgetragene Folgerung daraus, zu- mindest sah man dies so beim Führungskräfteseminar: Die Schulterstücke oder Goldlitzen eines Offiziers haben keine an- dere Bedeutung als die würde- voll hoch getragene Rute des Alphawolfes. Menschen ste- cken ihre Landesgrenze mit Grenzsteinen ab, ein Wolf markiert sein Territorium mit Harn und Kot. Eindringlinge werden gleichermaßen aggressiv behandelt. Seriöse Management-Vordenker wie der St. Gallener Top-Berater Fredmund Malik weisen solche Denkmuster jedenfalls energisch zurück: „Mit guter Betriebsführung haben derlei Bilder nichts zu tun, sie sind völlig untauglich. Und wer sie verwendet, beweist damit nur, dass er sehr wenig von Füh- rungsfragen – zumindest in unserer modernen Welt – versteht. Management, die Führung einer Organisation, ob das ein Unter- nehmen oder eine Organisati- on außerhalb der Wirtschaft ist, handelt von einer ganz anderen Situation: Das sind keine Wolfsrudel, das sind keine Büffelherden mit ihren jeweiligen Alphatieren.“

Ausgewählter Artikel aus dem Jahr 2007

Jakob Steuerer, Economy Ausgabe 30-06-2007, 01.07.2015