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05. Mai 2024

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Erbform überschätzt

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Die Art der Besitzübergabe prägt eine Gesellschaft nicht so stark wie angenommen.

Erbgewohnheiten haben maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung einer ländlichen Gesellschaft. Dieser Zusammenhang ist jedoch nicht so stark ausgeprägt wie bisher angenommen, belegen nun die veröffentlichten Ergebnisse eines vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten sozialwissenschaftlichen Projekts.
Anerbenrecht oder Realteilung – so lauten die Fachbegriffe für zwei in der frühen Neuzeit üblichen Formen des Erbens. Wurde beim Anerbenrecht der ungeteilte Besitz an einen einzigen Nachkommen vererbt, so erfolgte bei der Realteilung eine Aufteilung unter den verschwisterten Nachkommen. Das, so nahm man bisher an, beeinflusst Heiratsverhalten, Bevölkerungswachstum und die gesellschaftliche Entwicklung massiv.

Noch keine empirische Untersuchung
Allerdings das wurde bisher noch nie empirisch untersucht. Hermann Zeitlhofer von der Universität Wien füllte diese Lücke mit einer exemplarischen Studie über eine ländliche Region im südlichen Böhmerwald, deren Ergebnisse nun unter dem Titel „Besitzwechsel und sozialer Wandel“ im Böhlau Verlag erschienen sind.
Bisher wurde angenommen, dass eine ungeteilte Weitergabe des Besitzes zu mehr Abwanderung und zu einer stark polarisierten Gesellschaft geführt haben. Einigen wenigen Erben großer Besitztümer stünde eine Heerschar an mittellosen Personen gegenüber, die beim Erbe leer ausgegangen waren. Die Realteilung hingegen hätte durch einen einheitlichen Kleinbesitz der Massen mehr Familiengründungen und so ein starkes Bevölkerungswachstum erlaubt.

Die Gruppe der Landlosen
Für Zeitlhofer beruhen diese Schlüsse auf nicht belegten Vorannahmen. Er konnte zeigen, dass trotz der strikt eingehaltenen Weitergabe von ungeteiltem Besitz in der Pfarre keine stark polarisierte Gesellschaft entstand. Zwar bildete sich neben der gleich bleibenden Anzahl an bäuerlichen Höfen auch eine Gruppe Landloser, doch stellte es sich heraus, dass daneben ein durchaus breit gefächertes Spektrum an Kleinbesitzern entstand.
Ursächlich dafür waren zahlreiche Möglichkeiten, die einen Landerwerb auch abseits der Erbfolge ermöglichten. Die gesellschaftliche Entwicklung lief also keinesfalls so monokausal ab, wie es die bisherigen Annahmen vermuten hatten lassen.

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red/stem, Economy Ausgabe Webartikel, 23.02.2016