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05. Juli 2024

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Friss Staub, Künstler!

Friss Staub, Künstler!Ed Berlen

Mad Max und Gery Keszler organisieren zusammen ein Festival. So wirkt es zumindest, wenn man das Burning-Man-Festival in Nevada sieht. Inmitten der Einöde herrscht farbige Selbstinszenierung ohne Grenzen.

Zu sagen, die Black-Rock-Wüste sei einer der eintönigsten Orte überhaupt, grenzt wahrscheinlich so wenig an eine Übertreibung wie Nepal an Kärnten. Das im nördlichen Teil des US-Bundesstaates Nevada liegende Sand­areal umschließt eine Fläche von 30.000 Quadratkilometern und bietet bis auf den „Titel“, eine der flachsten Flächen der Welt zu sein, außer einem ausgetrockneten Salzsee vor allem Sand. Umso mehr wirkt das, was sich hier jedes Jahr für eine Woche abspielt, wie von einem anderen Stern.
Denn diese staubige Einöde ist Wallfahrtsort und Heimat eines der verrücktesten Festivals der Welt. Das Burning-Man-Festival lockt mittlerweile 50.000 Künstler, Freigeister und Paradiesvögel pro Jahr an. Innerhalb weniger Tage erhebt sich hier eine regelrechte Stadt aus dem Nichts, die Zelte und Wohnmobile sind dabei penibel in einem gigantischen Halbkreis angeordnet. In dessen Zentrum steht eine bis zu 25 Meter hohe Statue, der Burning Man, der traditionsgemäß zum Festival-Höhepunkt nach allen Regeln der Pyromanie abgefackelt wird. Mit Feuerwerk, versteht sich.

Selbstinszenierung
Angefangen hat alles 1986, als der damals 38-jährige Larry Harvey zusammen mit ein paar Freunden am Baker Beach in San Francisco eine gut zweieinhalb Meter hohe Holzfigur verbrannte. Bald wurde das Event zu groß. Da die Brandgefahr in Kalifornien auch ohne brennende Holzfiguren hoch genug ist, trat die Polizei auf den Plan und die damals 100 Besucher zogen mit ihrer Veranstaltung Anfang der 1990er in die Wüste.
Mittlerweile ist Burning Man zu einem riesigen Event von internationalem Format aufgestiegen. Längst gibt es bei dem Event sogar eine eigene Tageszeitung und eine Radiostation.
Ganz im Gegensatz zu anderen Festivals, die eine ähnlich große Klientel ihr Eigen nennen können, kommt das Burning-Man-Festival dabei ohne Stars aus der Rock- und Pop-Szene aus. Hier ist jeder selbst Star und Künstler.

Eigene Kunststipendien
285 Kunstinstallationen, darunter ein haushoher Tempel, sieben Meter hohe Menschen­skulpturen und ein mehrstöckiger „Partytower“ aus Stahl, dessen Kosten sich auf gut eine halbe Mio. Euro belaufen haben sollen, sind ebenfalls dabei. Viele davon wurden mit festivaleigenen Kunststipendien mitfinanziert.
In sogenannten Theme Camps bieten Festival-Besucher ihre eigenen Spezialitäten an, von Bauchtanzvorführung, Massage, Body Painting bis hin zu Kunst-Workshops ist alles erlaubt, solange anderen Besuchern das Mitmachen ermög­licht wird. Fast 800 solcher Theme Camps boten beim letztjährigen Festival ein unglaublich breit gefächertes Programm. Zudem gibt es im groß angelegten Central Camp alles von Literaturlesungen bis Musik.

Black Rock City Rules
In der entstehenden Gesellschaft von Black Rock City, wie die Festivalgemeinde genannt wird, gibt es nur eine Handvoll Regeln, das Hauptaugenmerk ist dabei auf Nachhaltigkeit gerichtet. So muss alles, was an Müll anfällt, selbst wieder mitgenommen werden – das gilt auch für Duschwasser. Ziel ist es, keine Spuren von Zivilisation zu hinterlassen. So bleibt bei 50.000 Festivalbesuchern nicht mehr Müll zurück als bei einer durchschnittlichen amerikanischen Familie auf Camping-Urlaub.
Weder Werbung noch Geld ist erlaubt. Einzige Ausnahme ist ein kleines Café, das neben Eiswürfeln zur Lebensmittelkonservierung nur noch Espresso anbietet. Der Rest wird entweder über Tauschhandel abgefertigt oder ganz einfach geschenkt: zum Beispiel Pommes und Backhenderl aus einer sechs Meter hohen Ketchup-Flasche.
Innerhalb des riesigen Festivalgeländes bewegt man sich entweder zu Fuß oder mit Fahrrädern fort. Autos sind verboten – es sei denn, es handelt sich um Mutant Vehicles. Diese se­hen aus, als hätten sich Erfindergeist und Exzentrik über mehrere Monate an einer Seifenkiste ausgetobt, und erinnern an einen Hybrid aus Faschingswagen und Red-Bull-Flugshow-Kandidaten. Nicht weniger als 600 waren davon dieses Jahr dabei. Handys funktionieren hier nicht; wegen der gelegentlichen Sandstürme vermummen sich die Besucher teils, bis sie wie Angehörige eines Wüstenstammes anmuten, tragen Schwimmbrillen und Mundschutz bei sich oder vereinzelt sogar Gasmasken. Temperaturen um die 40 Grad Celsius sind dabei keine Seltenheit.
Selbstinszenierung ist hier oberstes Prinzip. Die einzigen Grenzen der Ausgeflipptheit sind die eigene Kreativität und je nach Idee noch der finanzielle Rahmen.

Nichts ist umsonst
Trotz aller Spiritualität, Naturverbundenheit und der scheinbaren Abneigung gegenüber der Geldwirtschaft ist der Burning Man kein „Hippie-Treff“. Den einwöchigen Ausflug in eine alternative Gesellschaft lassen sich die Teilnehmer gerne etwas kosten. Seien es die aufwendigen Kunstinstallationen, Theme Camps, die Anreise in diese entlegene Ecke oder auch nur die Tickets, die immerhin zwischen 140 und 250 Euro kosten.
Das Organisationskomitee hat Ausgaben um die 14 Mio. Dollar (9,5 Mio. Euro), gut drei Mio. Dollar (gut zwei Mio. Euro) davon stellen Mitarbeitergehälter dar.
Mittlerweile steckt ein ungeheurer Organisationsapparat dahinter, doch verschiedene Preiskategorien bei den Tickets sowie ein Zuschusssystem sollen das Erlebnis auch der unteren Einkommensschicht zugänglich machen. Aber auch wenn hier tatsächlich Reich auf Arm trifft, so gehört der Großteil der Besucher zur gut situierten Mittelschicht. Über zwei Drittel haben zudem einen College-Abschluss.
Das mag für ein Festival schon beinahe etwas elitär klingen. Tatsache ist jedoch, dass die Pflichtausgaben im Vergleich mit dem Gebotenen durchaus gering sind, die Grenze nach oben aber in typisch amerikanischer Manier offen. Es steht also jedem frei, ob er per Anhalter anreisen will, mit seinem Privatjet auf der festivaleigenen Landebahn oder warum nicht auch per Fallschirm?

Emanuel Riedmann, Economy Ausgabe 77-09-2009, 23.10.2009