Unabhängiges Magazin für Wirtschaft und Bildung

05. Juli 2024

Search form

Search form

Macht korrumpiert auf jeden Fall

Macht korrumpiert auf jeden Fall Privat

Er schrieb unlängst den umstrittenen Beitrag „Lahme Dame Demokratie“ und lässt mit seinem neuen Buch „Mitte und Maß“ wieder politisch nachdenken. economy sprach mit dem renommierten deutschen Politologen Herfried Münkler über Politik und Moral und die ideale Staatsform.

economy: Zu Politik und Moral ist bereits unendlich viel publiziert worden. Ist dieses Thema eine „never ending story“?
Münkler: Bei der Moralperspektive gibt es mehrere unterschiedliche Gesichtspunkte, die eine Rolle spielen. Ich stelle drei zentrale Aspekte fest. Wer sachlich viel von Politik versteht, ist geneigt, sich gern in der Oberaufseherrolle zu sehen. Hinzu kommt die Dynamik des Kampfes um die politische Macht, getrieben von der Erwartung einer guten Einkommensmöglichkeit. Hier kommen wir zum zweiten Aspekt, dem Beutezug, dem Beutemachen von Politik. Und drittens sehe ich den Diskurs über Gerechtigkeit, der zur normativen Evaluation von Politik geführt hat. Das heißt also, dass sich bestimmte Normen und Werte entwickelt haben, an denen Politik gemessen wird.

Wie würden Sie die Situation in Deutschland in Bezug auf Politik und Moral beurteilen?
Nun, der Mechanismus „Gratifikation – Satisfaktion“ greift ganz gut. Es findet immer wieder eine Reinigung des politischen Personals von den übelsten und schlimmsten Fingern statt. Diejenigen Politiker, die gar zu schamlos sind, deren Tun wird in den Medien benannt. Und dadurch findet eine gewisse Auslese statt. Aber es gibt natürlich auch solche Fälle, in denen die Politiker von sich aus die Konsequenzen ziehen. Besonders krass war zum Beispiel der Fall des Freitodes von Jürgen Möllemann (der umstrittene und skandalumwobene deutsche FDP-Politiker starb 2003 unter nicht vollkommen geklärten Umständen bei einem Fallschirmsprung, Anm. d. Red.).

Und wie sehen Sie als Beobachter von außen die politische Situation bezüglich der Moral in Österreich?
Österreich hat das Problem, ein kleines Land zu sein. Es steht daher auch nicht so viel politisches Personal zur Verfügung. Die Politiker treffen sich in Wien, die Politik findet dort statt. Ich glaube, die Säuberungsmechanismen greifen nicht so gut. Ein Grund dafür ist, dass die Kontrollfunktion der Medien nur mäßig ausgebildet ist. Die Dominanz der Kronenzeitung ist bekannt und in Europa einzigartig. Viele Politiker versuchen deshalb, mit dieser Zeitung zu kooperieren, um so politisch Terrain zu machen. Der Einfluss von nur einer Zeitung ist verheerend. Ich glaube aber nicht, dass es einen allgemeinen Verfall der Moral gibt. Wir neigen nur dazu, von Verfall zu sprechen, weil wir Dinge rasch vergessen.

Ist es aber so, dass Macht auf alle Fälle korrumpiert?
Ja, auf jeden Fall. Macht korrumpiert. So ist das schon seit zweieinhalbtausend Jahren. Das lässt sich nicht ändern. Man kann nur an den Korrekturmechanismen feilen, um dagegenzuarbeiten.

Zum Beispiel?
Etwa Macht nur auf Zeit zu vergeben. Oder Anreize schaffen, die „Anständigkeit“ fördern. Diejenigen, die aus Positionen ausscheiden, können nur dann in die Wirtschaft gehen, wenn sie in der Politik einigermaßen anständig agiert haben.

Und wenn Sie auf ein so machtvolles Land wie die USA blicken, was fällt Ihnen da hinsichtlich Politik und Moral auf?
Die amerikanische politische Kultur ist geprägt von einer gelegentlich sehr aufdringlichen Inszenierung des eigenen Gutseins. Das hat einen konfessionellen politischen Hintergrund und ist für europäische Augen oft unerträglich.

In Ihrem in der deutschen Zeitschrift „Internationale Politik“ publizierten Artikel mit dem Titel „Lahme Dame Demokratie“ fordern Sie „Mut zu etwas mehr Diktatur“ und schreiben von einem „Zustand der Erschöpfung demokratischer Energie“. Wie sollte eine ideale Staatsform aussehen?
Mut zur Entscheidung, nicht zur Diktatur! Wir leben in einer beschleunigten Welt, und die Demokratie ist entschleunigt. Das ist ungefähr so wie Fahren mit permanent angezogener Handbremse. Der Vorteil der Demokratie – Vermeiden von Fehlentscheidungen durch drei Mal Lesen eines Gesetzes, Bürgerbeteiligungs- oder Anhörverfahrens – bringt Verlangsamungen mit sich. Das lähmt oft. Keine Frage, die Demokratie ist in der Krise. Die Frage ist, wie Revitalisierung möglich ist: a) Durch Rebellion, wie etwa im Jahr 1968; b) Revitalisierung kostet. Die Krise ist nicht nur negativ, sondern eine Entscheidung zur Erneuerung und Genesung; c) bei politischen Aktivitäten ist der Zugang fast nur noch für die obere Mittelschicht möglich. Die Frage ist also, wie wir die hohen Voraussetzungen für die Partizipation wieder „herunterhängen“ können. Trotz allem besitzt die Demokratie am ehesten Selbstheilungskräfte und hat die besten Voraussetzungen, die Probleme zu lösen.

Leben wir generell in einer „unpolitischen Zeit“, in der auch die Parteien tatsächlich austauschbar geworden sind?
Nein, aber die alte Generation, die sich politisch engagiert hat, besetzt noch viele politische Ämter und Schalthebel. Auch das Politiker-Dasein hat sich geändert. Früher ging man nach einem erfolgreichen Berufsleben in die Politik. Heute beginnen viele bereits in den Jugendorganisationen der Parteien politisch zu arbeiten und sind dann mit 50 erschöpft. Ich finde das nicht besonders toll. Der alte Weg war mit Sicherheit auch politisch sauberer. Und er brachte Menschen mit Lebenserfahrung in die entsprechenden Ämter.

Sie haben höchst erfolgreiche Bücher wie „Machiavelli“, „Imperien“ oder die „Die Deutschen und ihre Mythen“ geschrieben und sind als Politikberater sehr gefragt. Was wird Ihr nächstes Projekt?
Mein neues Buch „Mitte und Maß. Der Kampf um die richtige Ordnung“ kommt gerade auf den Markt. Nach einer Zeit, wo eine zunehmende politische Ordnung der „Mitte“ herrschte, greifen jetzt wieder entgegengesetzte Strömungen.

Economy Ausgabe 999999, 10.01.2010