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16. Mai 2025

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„Wer sich emotional gebunden fühlt, kündigt seltener“

„Wer sich emotional gebunden fühlt, kündigt seltener“© Ronny Leber

Menschliche und emotionale Aspekte bekommen im Kontext mit dem Thema Mitarbeiterbindung eine immer größere Bedeutung. Ronny Leber, erfahrener Executive-Coach, erläutert im Gespräch mit economy Strategien im Umgang zwischen Unternehmen und ihren MitarbeiterInnen.

Economy: Was sind erfahrungsgemäß wichtige Rituale, die zu einer starken Bindung von MitarbeiterInnen beitragen?
Ronny Leber: Es geht um Emotionen. Aus meiner Erfahrung mit internationalen Unternehmen gehört etwa ein emotionales Willkommensritual am ersten Arbeitstag dazu. Das Unternehmen John Deere bereitet für neue Mitarbeitende den Arbeitsplatz schon vor dem ersten Tag perfekt vor: persönliche Willkommensschilder, kleine Aufmerksamkeiten am Arbeitsplatz und ein erfahrener Kollege, der durch den ersten Tag führt. Dadurch entsteht sofort eine emotionale Bindung, ein echtes Zugehörigkeitsgefühl und Wertschätzung vom ersten Tag an.

Gibt es noch andere Beispiele?
Ein neuer Mitarbeiter muss spüren, dass er persönlich wertgeschätzt und willkommen ist und das erreicht man auch über regelmäßige Anerkennungsrituale für kleine und große Erfolge. Ein gutes Beispiel dafür ist die Hotelgruppe Ritz-Carlton. Dort findet jeden Tag ein sogenanntes „Daily Line-Up“ statt – ein kurzes, gemeinsames Treffen, bei dem Erfolge geteilt und Mitarbeitende hervorgehoben werden, die Besonderes geleistet haben. Ähnliches macht HubSpot mit ihrem sogenannten „Champagner-Moment“, wo das Team jeden gewonnenen Kunden gemeinsam feiert. Das schafft regelmäßige Momente des Stolzes, der Gemeinschaft und emotionaler Bindung.

Welche Rolle können Führungskräfte spielen?
Es braucht persönliche und authentische Wertschätzungsrituale durch die Führungskraft. Besonders wirkungsvoll sind hier Rituale, die nicht standardisiert, sondern individuell und authentisch sind. Ein Beispiel dafür können handschriftliche Dankesbriefe sein, die Führungskräfte spontan an Mitarbeitende verschicken, wenn diese etwas Besonderes geleistet haben. Solche authentischen, persönlichen Rituale wirken emotional besonders stark, da Mitarbeitende merken, dass ihre Arbeit individuell gesehen und wertgeschätzt wird.

Gibt es umgekehrt Rituale, die Ihrer Meinung nach nicht mehr zeitgemäß sind?
Ja, meiner Meinung nach sind Rituale nicht mehr zeitgemäß, die lediglich oberflächliche, unpersönliche Standardlösungen darstellen oder deren Sinn nicht mehr klar erkennbar ist. Beispielsweise der klassische Obstkorb oder ähnliche generische Maßnahmen. So was wird heute häufig eher als selbstverständlich oder lieblos wahrgenommen, gerade wenn sie ohne echten Bezug zum Team oder zum Unternehmenszweck eingesetzt werden. Mitarbeitende erwarten heute mehr persönliche und individuelle Wertschätzung als generische Goodies.

Gibt es noch andere nicht mehr passende Formen?
Ja, verpflichtende soziale Events außerhalb der Arbeitszeit. Gerade in einer Zeit, in der Work-Life-Balance und Flexibilität großgeschrieben werden, wirken verpflichtende „After-Work“-Events oft eher demotivierend. Sinnvoller sind freiwillige Angebote, bei denen Mitarbeitende eigenständig entscheiden können, ob und wie sie teilnehmen wollen. Auch rein gewohnheitsbedingte Meetings ohne klare Zielsetzung sollten neu ausgerichtet oder abgeschafft werden, da sie eher als „Zeitfresser“ wahrgenommen werden.

Welchen Stellenwert haben Rituale bei Unternehmen in Zeiten von hybriden Arbeitsmodellen?
Rituale haben gerade jetzt in Zeiten von hybriden Arbeitsmodellen enorm an Bedeutung gewonnen, weil sie das Gemeinschaftsgefühl auch über räumliche Distanz hinweg aufrechterhalten. Ein Beispiel sind regelmäßige virtuelle Check-ins, sogenannte „Wins-of-the-Week“-Runden, wo Mitarbeitende wöchentlich ihre Erfolge teilen und gemeinsam feiern können. Solche Rituale schaffen regelmäßig emotionale Verbindungsmomente, egal von wo aus Mitarbeitende teilnehmen.

Was gilt es bei Ritualen zu beachten?
Gerade weil das Team sich seltener persönlich sieht, werden reale Treffen noch wertvoller und sollten besonders bewusst gestaltet werden. Beispielsweise jährliche oder halbjährliche Team-Retreats oder besondere Workshop-Tage, bei denen das gemeinsame Erlebnis, das persönliche Miteinander und die Unternehmenskultur im Fokus stehen. Rituale sind in hybriden Teams keine reine „Nice-to-have“-Maßnahme mehr, sondern entscheidend, um langfristig die emotionale Bindung ans Unternehmen und den Zusammenhalt innerhalb des Teams zu stärken.

Wie kann ich neue Mitarbeitende durch Rituale schneller ins Team und in die Unternehmensprozesse einführen?
Neue Mitarbeitende profitieren besonders von gezielten Ritualen, die ihnen helfen, sich emotional und fachlich schneller zurechtzufinden. Ein Beispiel ist ein ganz bewusst gestalteter erster Arbeitstag („First-Day-Experience“), etwa mit einem Willkommensmeeting mit dem gesamten Team, wo sich jeder kurz vorstellt und den neuen Kollegen herzlich willkommen heißt. Ergänzend persönliche Gesten, wie vorbereitete Arbeitsplätze, Willkommensgeschenke oder einen klaren Ansprechpartner, der emotional und fachlich unterstützt.

Welche Bedeutung können Mentoren haben?
Die sogenannten Mentoren- oder Buddy-Rituale sind ein wichtiger Punkt.Ein erfahrener Kollege begleitet den neuen Mitarbeitenden gezielt über mehrere Wochen und integriert ihn in bestehende Unternehmensrituale, wie Team-Meetings, Feedback-Gespräche oder Projektmeetings. Dadurch wird nicht nur die soziale Integration, sondern auch der fachliche Einstieg erleichtert. Generell ist eine frühzeitige Einbindung in bestehende Rituale zielführend.

Firmenrituale gelten zunehmend als Geheimwaffe gegen Kündigungen. Warum ist das so?
Firmenrituale schaffen starke, emotional verbindende Momente und eine authentische Unternehmenskultur. Mitarbeiter verlassen selten ein Unternehmen, sondern meist ein Umfeld, in dem sie sich nicht gesehen, wertgeschätzt oder emotional verbunden fühlen. Rituale wirken genau an dieser Stelle, denn sie schaffen wesentliche Bindungsfaktoren, die Kündigungen stark reduzieren.

Was gehört zu diesen Bindungsfaktoren?
Eben genau diese emotionale Zugehörigkeit. Menschen wollen sich nicht nur als „Arbeitskraft“, sondern als wichtiger Teil einer Gemeinschaft fühlen. Rituale wie gemeinsame Feiern von Erfolgen, regelmäßige Anerkennung und gemeinsame Erlebnisse führen dazu, dass Mitarbeitende eine starke emotionale Verbundenheit zur Firma und zu ihren Kollegen empfinden. Im Effekt bedeutet das: Wer sich emotional gebunden fühlt, kündigt wesentlich seltener, da eine tiefe emotionale Verbindung entsteht, die über reine Bezahlung oder andere oberflächliche Faktoren hinausgeht.

Was ist hier noch erwähnenswert?
Das Thema persönliche Wertschätzung. Durch gezielte Rituale wie persönliche Begrüßungen, authentische Anerkennung durch Führungskräfte oder individuelles Onboarding erleben Mitarbeitende direkt und regelmäßig, dass sie individuell wahrgenommen, geschätzt und anerkannt werden. Auch das erzeugt einen Effekt: Mitarbeiter, die persönliche Wertschätzung erleben, haben höhere Loyalität, größere Motivation und identifizieren sich emotional stärker mit dem Unternehmen. Dadurch wird ihre Bereitschaft zur Kündigung deutlich verringert.

Welche Bedeutung hat das Thema Identifikation?
Sinnstiftung und Identifikation heißt etwa, dass regelmäßige Rituale vermitteln können, wofür ein Unternehmen steht, welche Werte es lebt und warum der Beitrag jedes Einzelnen Sinn ergibt. Durch klar definierte Rituale wie tägliche Stand-Ups, bei denen Erfolge geteilt werden oder ein wöchentliches Team-Ritual, entsteht eine Sinnstiftung, die weit über monetäre Anreize hinausgeht. Auch hier gibt es den Effekt, dass Mitarbeitende damit den Sinn ihrer Arbeit regelmäßig erleben und eben eine tiefere Identifikation und ein Commitment entwickeln. Sinnhaftigkeit reduziert Frustration, erhöht Zufriedenheit und senkt die Wahrscheinlichkeit, das Unternehmen zu verlassen.

Können Sie eine zusammenfasssende Definition von Firmenritualen nennen?
Rituale im Business sind bewusst gestaltete, regelmäßige Handlungen, die emotionale Verbundenheit, Sinnhaftigkeit und Wertschätzung erlebbar machen. Sie verwandeln Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in begeisterte Fans und schaffen jene magischen Momente, die Menschen langfristig ans Unternehmen binden.

Gibt es neben den eingangs genannten Firmen Riz Carlton und HubSpot noch weitere Beispiele für erfolgreiche Rituale?
Ja, etwa LEGO mit regelmäßigen „Play Days“ für Mitarbeiter. Da können diese selbst kreativ mit LEGO-Steinen spielen, neue Ideen ausprobieren und den Kernwert „Spiel“ hautnah erleben. Im Effekt wird die emotionale Verbundenheit zur Marke gestärkt, Kreativität gefördert sowie Teamzusammenhalt und Innovation, und zudem wird diese spielerische Leichtigkeit auf die Kundenkommunikation übertragen. Auch Southwest Airlines ist zu nennen, wo Flugbegleiter Durchsagen humorvoll und unterhaltsam gestalten dürfen. Das schafft eine lockere, menschliche Atmosphäre an Bord, baut emotionale Verbindung auf, reduziert Stress und macht Flüge zu erinnerungswürdigen Erlebnissen für Passagiere.

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red/czaak, Economy Ausgabe Webartikel, 04.04.2025