Unabhängiges Magazin für Wirtschaft und Bildung

25. April 2024

Search form

Search form

Vorurteil widerlegt

Vorurteil widerlegt© piqs.de/josef t rezaie

Autisten handeln nicht unmoralischer als andere Menschen. Das zeigt eine österreichisch-italienische Studie.

Sind Autisten mit einem Gedankenexperiment konfrontiert, in dem sie eine Person opfern müssten, um mehrere andere zu retten, unterscheidet sich ihr moralisches Urteil nicht von dem anderer Personen, die nicht unter dieser Entwicklungsstörung leiden. Über eine entsprechende Studie berichtet ein österreichisch-italienisches Psychologenteam im Fachblatt Scientific Reports.
Die Annahme, dass Autisten stärker dazu neigen, aus mangelndem emotionalen Einfühlungsvermögen zweckorientierter zu handeln und folglich auch eher Schäden für andere Menschen in Kauf nehmen, sei zwar weit verbreitet, jedoch kaum wissenschaftlich untersucht. Das Team um Giorgia Silani von der Uni Wien und Indrajeet Patil von der International School for Advanced Studies in Triest konfrontierten daher erwachsene Autisten und Nicht-Autisten mit den gleichen moralischen Dilemmata.
Im Anschluss daran wurden alle aufgefordert, ein moralisches Urteil dazu abzugeben, ob man eine Person zum Wohle mehrerer opfern könne. Es zeigte sich, dass sich sowohl Autisten wie Nicht-Autisten mit diesem Gedanken kaum anfreunden konnten.

Gleichartige Urteile
„Interessant war für uns nicht nur, dass sie gleichartige Urteile abgaben, sondern vor allem, warum“, so Silani. Im Zuge ihrer Auswertungen konnten die Forscher nämlich zwei unterschiedliche Facetten autistischer Persönlichkeit aufzeigen: Eine davon sei die typische Tendenz, sich aus stressbeladenen sozialen Situationen zurückzuziehen. Im Zusammenhang mit dem Dilemma würden Autisten daher eher verweigern, eine andere Personen zu schädigen, auch wenn dies für die Allgemeinheit besser wäre, so die Wissenschafter.
Auf der anderen Seite könne die Entwicklungsstörung auch mit einer Art Gefühlsblindheit einhergehen. Diese bisher in der Forschung „vernachlässigte Facette“ ist mit verringerter Einfühlungsfähigkeit in das Gegenüber – der sogenannten Alexithymie – verbunden. In der Versuchsanordnung erhöhe das die Tendenz, eine Person zum Wohl der Gruppe zu opfern.

„Es scheint fast, als ob diese zwei Subdimensionen der autistischen Persönlichkeit auf einer Wippe säßen und aufeinander entgegen wirkende Kräfte ausübten. Das endgültige moralische Urteil von Autisten hängt davon ab“, erklärt Patil. Auch bei der Erforschung des moralischen Urteilsvermögens von Personen mit anderen klinischen Störungen wie Multipler Sklerose oder Parkinson sollte auf die Rolle der Alexithymie geachtet werden.

Links

APA-Science/red/stem, Economy Ausgabe Webartikel, 08.04.2016