Unabhängiges Magazin für Wirtschaft und Bildung

18. April 2024

Search form

Search form

Vorprogrammierte Verletzungen

Vorprogrammierte Verletzungenpiqs.de/AtelierBloch

Unsere Kommunikation ist gewalttätig, und so werden Wörter zu Mauern statt zu Fenstern.

Es braucht keine simple, von kriegerischen Tönen strotzende Diktion eines George W. Bush und keine fanatischen, von Hass erfüllten Brandreden eines Mahmoud Ahmadinejad. Man benötigt auch kein Rhetorikseminar und kein wirklich speziell geschärftes, fachkundiges Ohr, um zu erkennen, dass in der menschlichen Kommunikation und Ausdrucksfreude generell gar manches falsch läuft. Zwar haben wir die Kommunikation zur unersetzbaren Basis unseres Gedankenaustauschs, unserer zwischenmenschlichen Beziehungen und unserer Professionswelten erhoben, aber der Umgang mit den Regeln und Nuancen fällt uns auch im neuen Jahrtausend ähnlich schwer wie zu Zeiten, als der Mensch die ersten erkennbaren Laute von sich gab.
Wir leben im Zeitalter der vielschichtigen Kommunikation, die auf zahlreichen Ebenen abläuft. Wir benutzen die Welt des Mobilfunks, der Weblogs, der Foren, Chats oder der direkten Ansprache. Man sollte meinen, dass wir über die Generationen gelernt haben, mit dem gesprochenen und geschriebenen Wort als Bindeglied zu anderen Personen treffl ich umzugehen. Aber in Wahrheit befinden wir uns immer noch auf einer ersten Evolutionsstufe der Rhetorik und der Möglichkeiten probater Mitteilungen und Austäusche. Denn unsere Sprache, das bei Weitem wesentlichste und effizienteste Hilfsmittel im Umgang mit anderen Personen, steckt in der Krise. Sie ist voller Gewalt, voller negativer Energie und voller Ressentiments.

Schlechtes Expertenzeugnis
„Wir haben längst vergessen, harmonisch mit unseren Mitmenschen, unseren Partnern, unseren Kollegen oder unseren Vorgesetzten und Untergebenen zu kommunizieren“, ist Marshall B. Rosenberg, der weltweit wohl am meisten hofi erte Kommunikationsexperte, überzeugt. Der Mann, der seit 30 Jahren einen Kreuzzug gegen die Gewalt in unserer Sprache führt, der das „International Center for Nonviolent Communications“ in den USA gegründet, zahlreiche Fachbücher veröffentlicht hat und der in zwei Dutzend Ländern in großem Ausmaß Lehrfunktionen wahrnimmt, weiß, wovon er spricht. Schließlich reicht sein Lehrbereich von Politikern über Anwälte oder Manager bis hin zu „Tafelklasslern“. Ob Krisengebiete in Afrika oder dem Nahen Osten: Die Erkenntnisse gleichen einander wie ein Ei dem anderen.
„Gewaltfreie Kommunikation ist eine verlorene Sprache der Menschheit“, meint Rosenberg. „Wir betrachten unsere Art, zu sprechen und mit anderen zu kommunizieren, vielleicht gar nicht als ‚gewalttätig‘, aber trotzdem fügen wir unserem Gegenüber oft Leid und Verletzung zu. Und das Beste daran ist, dass unsere eigenen Worte uns selbst auch schaden, ohne dass wir die eigene Wortwahl als Ursache eines auftretenden Übels erkennen und vielmehr in einer weiteren Spirale des Missverstehens Fehler ganz woanders suchen. Wir haben sichtlich verlernt, uns ehrlich und klar auszudrücken und unseren Dialogpartnern gleichzeitig unsere Aufmerksamkeit und den dafür nötigen Respekt zu widmen.“
Dass „gewalttätige Kommunikation“ für viele alltägliche Probleme und Krisen verantwortlich ist, können nicht nur Scheidungsparteien oder zahlreiche Gerichte bestätigen. Vor allem in der Wirtschaft ist die Nichtkenntnis von „gewaltfreier Kommunikation und Interaktion“ für viele Streitfälle, Versäumnisse oder Missverständnisse verantwortlich. Der Schaden, der durch diese relativ kleine Ursache entsteht, ist am Ende des Tages oft riesengroß. Davon kann auch Ursula Plachetka, zertifi zierte Wirtschaftsmediatorin und Präsidentin der Vereinigung Mediation Austria, ein Lied singen: „Im Alltag der Wirtschaftsmediation ist die falsche Rhetorik für viele Missstände bei Unternehmen verantwortlich. Da entstehen oft irreparable Schäden, die weit über den blanken finanziellen Verlust hinausgehen. Oft ist der wahre Ursprung einer Kontroverse fast als lächerlich zu bezeichnen. Ein falscher Satz, ein missverstandener Auftrag, eine ins falsche Ohr gedriftete Konversation, und schon werden schlafende Hunde geweckt. Da entstehen durch ein falsch geführtes Telefonat oder ein nicht eloquent formuliertes Memo dramatische Entwicklungen, die letztlich allen am daraus resultierenden Konflikt beteiligten Personen und Institutionen überdimensionale Schäden zufügen.“
In der Politik sah zum Beispiel Theodore Nyilidandi, der Außenminister von Ruanda, in der gewaltfreien Sprache einen Lichtschimmer für Konflikte: „Traumatische Situationen auf dem Kontinent stehen den Erkenntnissen einer neuen Kommunikationsqualität gegenüber. Man empfindet allerorts den tiefen Wunsch, diese Form der Kommunikation in sich aufzunehmen, um Konfl ikte zu befrieden oder zu lösen.“

Die richtige Wortwahl zählt
Wo also liegen die Schwierigkeiten, sich im kommunikativen Umgang mit dem Gesprächsoder Verhandlungspartner richtig auszudrücken, die richtigen Worte zu finden? Was definiert und garantiert eine „gewaltfreie Kommunikation“?
Um diese Fragen zu beantworten, ist es notwendig, zu erkennen, dass eine harte Arbeit an der eigenen Rhetorik und an der Grundeinstellung notwendig ist. Um das Übel der Gewalt in der Sprache zu beheben und konstruktiv und effizient mit dem Gegenüber in einen beiderseitig erquicklichen Dialog zu treten, müssen wir nämlich an unserer Wortwahl und an unserer Aufmerksamkeit enorme Modifikationen vornehmen.
Folgende Komponenten sind bei einer gewaltfreien Kommunikation unerlässlich: zum einen die Beobachtungsgabe, die uns erkennen lässt, was um uns herum geschieht, und die man dann dem Gegenüber ohne Beurteilung, Klassifikation oder Bewertung mitteilt. Dazu gehört es auch, die Angst zu überwinden, dass Ablehnung droht. Zum anderen sind Gefühle wichtig. Ein echtes Gefühl wertfrei mitzuteilen, stellt für die meisten von uns ein Husarenstück dar, dem man allgemein das freihändige Ringen mit einem Tiger oder eine Zahnbehandlung ohne Narkose vorzieht.
Gleiches gilt für die Kommunikation der eigenen Bedürfnisse, die hinter den Gefühlen stecken, sowie das Einfühlungsvermögen in die Bedürfnisse des Gegenübers, des Dialogpartners. Letztlich folgt noch die Komponente der Bitte. Um etwas ehrlich zu bitten, löst im Alltag oft eine Verklemmung aus, die häufig sehr schnell in eine mit „Gewalt“ gefüllte Sprache umschlägt. Drückt man sich mit diesen genannten Komponenten, losgelöst von üblichen Zwängen und Normen, aus und ist man im Gegenzug bereit, voll Empathie diese Faktoren auch beim Gesprächspartner anzunehmen, dann ist der Weg zu einer gewaltfreien Sprache und neuer Qualität der Kommunikation geradezu sicher.

Ausgewählter Artikel aus dem Jahr 2006

Mario Koeppl, Economy Ausgabe 19-08-2006, 18.05.2015