Unabhängiges Magazin für Wirtschaft und Bildung

20. April 2024

Search form

Search form

Tango der Gehirne

Tango der Gehirnepiqs.de/jennifer

Kognitionswissenschaftler erforscht das Zusammenspiel von Körper und Kompetenz.

Tango ist mehr als nur ein Tanz. Er steht für Leidenschaft und Sinnlichkeit, für Zweisamkeit und ausdrucksvolle Improvisation. Es geht um Führen und Folgen, um das Spüren und um Körperbewusstsein. Doch was genau passiert bei dieser Art der Interaktion? Wie ist es beispielsweise möglich, im richtigen Moment improvisierend den richtigen Schritt zu setzen – also eine gute Entscheidung zu treffen?
Diese Fragen stellt der Kognitionswissenschafter Michael Kimmel. Mit Unterstützung des Wissenschaftsfonds FWF untersucht er die Fähigkeiten der Interaktion in Disziplinen wie Tango Argentino, Shiatsu und Feldenkrais. Denn im Paartanz, Kampfsport und in der Körperarbeit treffen die Anforderungen der Mikrokoordination mit Anforderungen des Improvisierens zusammen.
Seit einigen Jahren wächst das Forschungsinteresse an dieser Art der zwischenmenschlichen Koordination. Wissen über Interaktion nimmt zum Beispiel einen großen Stellenwert ein, wenn es um herausfordernden Tätigkeiten wie Katastrophenhilfe oder Chirurgie geht.

Nicht nur messen
Im Hirnscanner kann etwa beobachtet werden, wie sich Gehirne synchronisieren, während sie interagieren. Doch Messungen alleine reichen nicht aus, um solche hochkomplexen Vorgänge zu beschreiben. Daher hat Kimmel ein Team von Forschern zusammengestellt, die auch Erfahrung in jeweils einer der untersuchten Disziplinen haben.
Dabei legte das Team einen Fokus auf aktives Spüren des eigenen und anderen Körpers, auf Handlungsstrategien und Selbststrukturierung. In Interviews und mit Methoden des „Laut-Denkens“ haben sie ganz gezielt erhoben, was die Personen spüren, wie sie die Interaktion wahrnehmen. So offenbaren sich Strukturen des impliziten Wissens, die bei Experten „im Körper verschwunden“ sind. „Wir gehen davon aus, dass es kognitive Grundlagen dieser halb- oder unterbewussten Strukturen gibt. Diesen Baukasten an Basisfertigkeiten wollen wir hervorholen und beschreiben.“

Faktoren für gelungene Interaktion
Fundamental sei eine geschulte Aufmerksamkeit und, wie Kimmel es nennt, Mechanismen der „schlauen Wahrnehmung“. Das ist die Fähigkeit, auf einen Blick oder durch ein kurzes Greifen die Logik einer Disziplin zu erfassen. Zudem würde ein Repertoire an Techniken – etwa Schritte, Rotationen oder Griffe – das Material bilden, aus dem sich improvisiertes Handeln speist.
Neben der Entschlüsselung des Körperwissens liefert das Forschungsprojekt einen weiteren Nutzen. So lassen sich die Frage-Methoden zum Beispiel auch auf den Wissenstransfer bei sportlichen, handwerklichen oder therapeutischen Fertigkeiten übertragen. Denn Wissen wird in vielen Bereichen nach wie vor nicht explizit weitergegeben. „Unsere Forschung stellt ein analytisches Handlungswerkzeug für unterschiedliche ‚Communities of Practice‘ zur Verfügung, wo sich ähnliche Grundfragen stellen.“

Links

red/stem, Economy Ausgabe Webartikel, 15.01.2016