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19. April 2024

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Politische Strategie Antisemitismus

Politische Strategie Antisemitismus© piqs.de/bachmont

Wie sich Parlamentsdebatten auf die Demokratieentwicklung auswirken, untersucht die Politikwissenschaftlerin Eva Kreisky.

Ausführliche Analysen von Plenardebatten wurden bisher in der Parlamentarismusforschung und in aktuellen Demokratietheorien vernachlässigt. Die Politikwissenschafterin Eva Kreisky will diese Lücke nun schließen. „Antisemitismus als politische Strategie und die Entwicklung der Demokratie“, so der Projekttitel, analysiert antisemitische Rhetorik im Österreichischen Parlament von 1945 bis heute.
„Wir gehen von der Hypothese aus, dass sich Antisemitismus als Indikator für Demokratieentwicklung eignet, da moderne Demokratien mit gesellschaftlichem Pluralismus umgehen müssen“, sagt Kreisky. Das parlamentarische Plenum wird dabei als symbolische Bühne verstanden, die aufzeigt, wo die Grenzen des offiziell Sagbaren liegen. „In unserem Projekt untersuchen wir, ob, in welcher Weise, in welchem Ausmaß und in welchen Zeiträumen Antisemitismus als rhetorisch-politische Strategie im Parlament nach der Shoah noch eingesetzt beziehungsweise wie er modifiziert wurde“, so Kreisky.

Kampfstrategien
Dazu durchsucht das Forschungsteam der Uni Wien einen Korpus von rund 3.500 stenografischen Protokollen. Neben inhaltlichen Kriterien wie Themenkonstruktionen, Argumentationsstrategien oder Semantik beziehen die Forscher auch Charakteristika von Parlamentsdebatten wie zum Beispiel Ordnungsrufe oder Ethos und Pathos in ihren Analysen mit ein. „In unserem aufwändig entwickelten Verfahren geht es um die symbolischen Prozesse, die im Plenum stattfinden. Dies erfolgt in unterschiedlichen Strategien, die man als rhetorische Kampfstrategien bezeichnen kann", erklärt Kreisky.
Im Laufe der Zweiten Republik hat sich das Verständnis dessen, was als Antisemitismus gilt, geändert. Der Vorwurf des Antisemitismus, so zeigt das Fallbeispiel Österreich, ist oft gleichzusetzen mit dem Vorwurf eines mangelnden demokratischen Bewusstseins. „Grundsätzlich kann man sagen, offener Antisemitismus im Parlament geht nicht mehr“, fasst Kreisky die laufenden Analysen zusammen. Es hätten sich aber die Kodierungen verfeinert, mit denen antisemitische Anspielungen getätigt würden. Allerdings herrscht im Parlament heute eine besondere Sprachsensibilität, die auch solche Anspielungen kaum noch unwidersprochen durchgehen lässt. In dieser Hinsicht müsse zwischen dem parlamentarischen Plenum und anderen politischen Arenen unterschieden werden.

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red/stem, Economy Ausgabe Webartikel, 24.05.2016