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25. April 2024

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Die große Macht des Einzelnen

Die große Macht des EinzelnenJohn Wells

Angie entwirft umweltrelevantes Design. John erzeugt seinen Strom selbst. Jay baut Häuser, die zehn Quadratmeter groß sind. Steve will grüne Architektur abseits technischer Spielereien. Ulrike macht sich für die ökologische Mehrleistung von Frauen stark: Fünf Umweltschützer erzählen von Alltag und Idealen.

„Alles wird gut werden“ und „Bitte recycle“ steht auf den Magnetkarten des Ace Hotels in Manhattan. In der New York Times werden Öko-Neuerer porträtiert, die sich bis auf Weiteres von ihrem Kühlschrank verabschieden. Die Leute entdecken Fahrräder, Mopeds und öffentlichen Verkehr.
„Living with less“, mit weniger auskommen, ist in den USA schick, seit Rezession herrscht. Der Trend scheint mächtig, dennoch sind sich Experten einig, dass sich die Nachhaltigkeit des neu entdeckten Ökobewusstseins erst nach dem Abflauen der Mode zeigen wird. Architekt Steve Mouzon interessiert sich indes dafür, wie viel umgesetztes Grün „Gizmo Green“ ist: Passivenergiehäuser, mit denen die Landschaft zersiedelt wird. Die vielen Quadratmeter an Wohnfläche, die Amerikaner außerhalb der großen Ballungsräume gewohnt sind, vergrößern zusätzlich zur Mobilität den ökologischen Fußabdruck. Hier könnte den Bewohnern die Immobilienkrise neue Wege abringen.

John Wells, Pionier

John Wells arbeitet an seinem Gewächshaus, weil es gerade kühl draußen ist. „Ganz schön kalt eigentlich“, sagt er, und meint damit 22 Grad Celsius. Die Woche davor hatte es 43 Grad, und da im Inneren eines Schiffscontainers zu arbeiten, ist selbst für einen modernen Pionier zu viel. Wells wohnt in einem Stück texanischer Wüste, das Terlingua Ranch heißt und rund 900 Quadratkilometer groß ist. Sein Haus baute sich Wells selbst, in acht Tagen. Es hat zehn Quadratmeter Wohnfläche und kostete in seiner ersten Version 1600 Dollar. Weiterer fünf Monate und 800 Dollar bedurfte es, um es „so richtig gemütlich“ zu gestalten. Das fragil wirkende, kleine Gebäude – eine mit Wellblech überzogene Sperrholzkonstruktion – steht auf 16 Hektar Land. Zum nächsten kleinen Lebensmittelladen sind es 30 Kilometer, das nächste größere Geschäft ist im Städtchen Alpine, rund 100 Kilometer entfernt. Das Land hier ist billig, das Leben nicht besonders. „Ich sage den Leuten, sie sollen nicht ohne Geld kommen“, erzählt Wells. Für jede Besorgung gelte es weit zu fahren, und das kostet. „Manche hier leben in absoluter Armut und haben nicht einmal genug Geld, um wieder wegzukommen“, berichtet er.
Vor zwei Jahren, zu Hause im Bundesstaat New York, arbeitete Wells als Fotograf. Sein Haus war 260 Quadratmeter groß und stand auf 13 Hektar Land. Er werkte sieben Tage die Woche, um sich die Hypothek und die Grundsteuer leisten zu können. Als sein Vater starb, begann er sein Leben zu überdenken. Er traf Leute, die auf Turliqua lebten, und fasste den Entschluss, sich als moderner Pionier zu versuchen. Er verkaufte sein Haus und machte sich im Dezember 2007 auf nach Texas. „Was für eine Verschwendung das immer war, das große Haus und nur ein Bewohner“, sagt er. Das Haus hätte eine große Familie geradezu verdient. Mit den neuen Besitzern bekam es diese dann schließlich auch.
Wells nennt sein Projekt „Southwest Texas Alternative Energy And Sustainable Living Field Laboratory“. Schon ein paar Jahre zuvor experimentierte er mit alternativer Ener­gie. „Die Technik ist so weit, dass so gut wie jeder energieautark leben kann“, ist er überzeugt. In seinem Gewächshaus will Wells künftig alles anbauen, was er an Obst und Gemüse braucht. Lebensmittel kühlt er in einer Box, die jeden zweiten Tag mit vier Kilogramm Eis bestückt wird. Zum Kochen entwickelt er einen Solarofen. Um die Temperatur im Haus erträglich zu machen, baut er eine Klimaanlage, indem er eine Wasserkühlung und vier kleine Ventilatoren kombiniert.
Wells hat Internet-Anschluss und ein Festnetztelefon. Zum Verlegen der Leitung muss die Telefongesellschaft zweieinhalb Kilometer Kabel verlegen. „Weil der Staat den Ausbau fördert, kostete mich die Zuleitung aber nur zehn Dollar“, erzählt er. Seit Wells sein Blog betreibt, kommen ein bis zwei Besucher pro Woche vorbei. Er freut sich, dass er sie herumführen und ihnen sein Werk zeigen kann. „Es ist mir nie zu heiß oder kalt, ich bin nie durstig oder hungrig. Das ist ganz schön luxuriös“, beschreibt er sein neues Leben. Seit er mit der Sonne aufwacht, gibt es keinen Wecker mehr. Wells ist schuldenfrei: „Alles, was ich habe, besitze ich wirklich. In meinem neuen Leben schaffe ich mir meine Annehmlichkeiten selbst“, sagt er. Seine Schäferhundin Goldie, die ihn nach Texas begleitet, musste er im April einschläfern. Ihr Grab ist mit einer Pyramide gekennzeichnet. Sobald Google die Satellitenfotos seiner Gegend aktualisiere, müsste Goldies letzte Ruhestätte darauf erkennbar sein.
www.thefieldlab.org

Steve Mouzon, Architekt
„Es ist fast ein bisschen wie Cohousing“, erzählt Steve Mouzon. Der Architekt wohnt mit seiner Frau in South Beach im Bundesstaat Florida. Seine Wohnung ist mit 70 Quadratmetern eher unterdurchschnittlich groß. Wenn Freunde bei ihm übernachten, kann er das zweite Schlafzimmer seines Nachbarn nutzen. Man lädt sich im Haus gegenseitig zum Essen ein, vor dem Gebäude wird gerade ein Gemüsegarten geplant. Cohousing beschreibt Siedlungen mit maßvollen Wohnungen und großzügigen Gemeinschaftsanlagen. Das Konzept passt gut zu Mouzons Grünbewegung Original Green. „Ein Niedrigenergiehaus in die Landschaft zu stellen und stundenlang mit dem Auto zur Arbeit zu pendeln, ist ‚Gizmo Green‘“, sagt er: Grünsein aus bloßer Begeisterung an technischen Spielereien. Um dies rechnerisch zu untermauern, will er demnächst Tabellen mit handfesten Zahlen liefern: ab welchem Benzinpreis Liegenschaften, unter Abhängigkeit ihres Kaufpreises, unleistbar und damit unbewohnbar werden.
Architekt Mouzon machte sich mit den sogenannten Katrina Cottages einen Namen: kleine, günstige Häuser im traditionellen Baustil der Südstaaten, die nach dem Hurrikan die Containerwohnungen der Katastrophenbehörde Fema ersetzen sollten. Etwas unerwartet stießen diese plötzlich im ganzen Land auf Interesse. Katrina Cottages, ist Mouzon überzeugt, eignen sich auch für Cohousing-Siedlungen, ein Trend, der sich angesichts der Immobilienkrise verstärken könnte.
www.originalgreen.org

Ulrike Röhr, Wissenschaftlerin
Es ist ein Zwiespalt: Weh muss nachhaltiger Lebensstil nicht tun. „Aber so ein bisschen ökologisch sein reicht auch nicht“, erklärt Ulrike Röhr, Umweltaktivistin und Leiterin für Gender, Umwelt und Nachhaltigkeit beim deutschen Bildungsträger Genanet. Wenn die Einschnitte zu groß seien, würde man niemanden dazu bringen, es zu machen. Gleichzeitig würden Experten eine radikale Verringerung des Ressourcenverbrauchs fordern.
Röhr hat für sich vor 15 Jahren das Auto „abgeschafft“. Neben den ökologischen Aspekten war es ihr lästig, immer einen Parkplatz zu suchen. „Gesellschaftlich ist das aber weiterhin wenig akzeptiert. Das hat immer den Anstrich, dass du es dir nicht leisten kannst“, sagt sie. Für sie jedenfalls sei es gesteigerte Lebensqualität, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen.
Auch vieles andere, was längst selbstverständlich sein sollte, ist es nicht. Etwa bei der Wohnungssuche nach der energetischen Ausstattung zu fragen. „Da wird man dann schon noch angeschaut“, sagt sie. Gleichzeitig seien dies alles Maßnahmen, die überhaupt nicht wehtäten. Eingeschränkte Mobilität würde da schon eher Schmerzen bereiten. Röhr versucht möglichst wenig zu fliegen, machmal lässt es sich schließlich doch nicht vermeiden. „Dann habe ich schon ein schlechtes Gewissen und frage mich, ob das jetzt wirklich sein muss“, bekennt sie.
Mobilität ist es auch, die die ökologischen Fußabdrücke von Männern und Frauen unterschiedlich aussehen lässt. Frauen seien ressourcenbewusster, was vom Staat nicht honoriert würde. „Frauen leisten zumeist die Versorgungsarbeit und haben dadurch andere Prioritäten. Sie sind nicht die guten Menschen, sie haben einfach einen anderen Blickwinkel auf die Alltagsrealität“, erklärt Röhr. Es ginge für die meisten nicht darum, mit einem möglichst gro­ßen Auto möglichst schnell von A nach B zu kommen. Dieser Trend zeige sich in allen Einkommensschichten. Auch wenn Frauen mehr verdienen, fahren sie typischerweise keinen Porsche.
Hinzu kommt, dass die Wegstrecken von Frauen im öffentlichen Verkehr zumeist nicht berücksichtigt werden. Wissenschaftliche Untersuchungen ergeben, dass die meisten Bus- und U-Bahnnetze strahlenförmig aufgebaut sind, Verbindungen am Rand sind komplizierter. Von der Politik wünscht sich Röhr daher, dass bei jedem Gesetz beachtet wird, wie es auf die Geschlechter wirkt. Außerdem müsste die umwelttechnische Mehrleistung von Frauen endlich finanziell vergütet werden: „Momentan ist es genau umgekehrt“, sagt sie.
Röhr fährt mit dem Rad zur Arbeit und kauft im Bioladen ein. Sie versucht möglichst wenig Energie zu verbrauchen, „so wenig, wie es mir möglich ist“, präzisiert sie. Das hieße nicht, dass sich da nicht auch noch mehr machen ließe. In ihrer neuen Wohnung stellte sie kürzlich die gesamte Beleuchtung auf LED-Lampen um. Das Licht sei dabei noch nicht perfekt. Seither versucht sie über eine Art Musterschau herauszufinden, welche Lampe die beste sei.„Ich bin ja Technikerin“, schmunzelt sie, „da kann das durchaus auch Spaß machen.“
www.genanet.de

Jay Shafer, Unternehmer
Jay Shafer hat geheiratet. Jetzt steht sein Häuschen, zehn Quadratmeter groß, im 50 Quadratmeter großen Garten des Häuschens seiner Frau. Die meisten Gebäude, die Shafer plant und manche davon auch baut, sind unter zehn Quadratmeter groß.
In drei verschiedenen solcher Minihäuser lebte er in den letzten zehn Jahren. Die Gründe hat er rasch zur Hand: Er kann weder Staubwischen noch Staubsaugen ausstehen. „Ich habe mich in meiner Wohnung umgeschaut, und da gab es einfach zu viel Platz und zu viele Sachen“, berichtet er. Und dann ist da noch die Umwelt. Der Gedanke, zum Treibhauseffekt beizutragen oder viele nicht erneuerbare Ressourcen zu verwenden, gefällt ihm gar nicht.
Sein derzeitiges Haus steht unter dem Namen Epu im Katalog und hat 8,2 Quadratmeter Wohnfläche, weiters Räder, um hinter ein Auto gespannt zu werden, und eine Veranda. Im Wohnraum steht eine Sitzgruppe neben einem Minikamin. In der Küche gibt es einen Herd, Kühlschrank und Miniback­ofen. Das Badezimmer dient als Ganzes als Dusche, ein Plastikvorhang und zwei Schiebetüren schützen Wände und Toilette vor der Feuchtigkeit. Über der Küche ist der Schlafbereich untergebracht, dessen eines Ende eine Fensteröffnung hat, am anderen Ende ist ein Ventilator montiert. Sehnsucht nach herkömmlich großen Räumen habe er nicht. „Ich kann nur keine großen Partys machen“, sagt Shafer.
Mit seinem Unternehmen Tumbleweedhouses baut er im Durchschnitt zwei Häuser pro Jahr und verkauft an die zwei Dutzend Pläne für Wohngebäude, die zwischen sechs und 35 Quadratmeter groß sind. Drei weitere Modelle sind etwas größer. Kunden verwenden die Hütten entweder als Zubauten im Garten, als Wochenend- und manchmal auch Hauptwohnsitz. Hat er ein schlechtes Gewissen, wenn er einem McMansion, einem neu erbauten Rieseneinfamilienhaus, ein Gartenhäuschen hinzufügt? „Mein Traum ist es nicht“, sagt er. Lieber wäre es ihm natürlich, wenn die Leute im Minihaus wohnen würden. „Aber jeder, wie er kann“, schließt Shafer.
www.tumbleweedhouses.com

Angie Rattay, Grafikerin
Mit 14 Jahren sieht Angie Rattay den Film Gandhi und notiert sich das Zitat „Sei du selbst die Veränderung in der Welt, die du sehen möchtest“. Die Macht des Einzelnen beschäftigt sie: „Ich wollte den Leuten als Kind schon vor Augen halten, dass jeder etwas tun kann“, sagt sie.
Als an der Universität für angewandte Kunst das Studien­ende näher rückt, will die Wienerin die Zeit, die sie für ihre Diplomarbeit aufwenden wird, gut anlegen. Sie entwickelt eine Gebrauchsinformation für den Planeten Erde, als Medikamentenbeipacktext gestaltete Gebrauchsanleitungen für Atmo-, Bio-, Hydro-, Litho- und Pedo­sphäre. „Es haben sich ganz unterschiedliche Menschen bei uns gemeldet, auch solche, die mit Umweltschutz überhaupt nichts zu tun hatten“, berichtet sie vom Feedback. Nach ihrem Studium gründet die Grafikerin das Neongrün Network, einen Verein zur Förderung „umweltrelevanter Design-Projekte“. Das Projekt Gebrauchs­information hat so großen Erfolg, dass es zunächst auf Englisch und derzeit in zehn weitere europäische Sprachen übersetzt wird. Rattay und ihr Team finalisieren unterdessen die Edition für Kinder.
Ihre privaten Ökoansätze findet sie „gar nicht so radikal“. Rattay ist Vegetarierin, benutzt Ökostrom und teilt sich mit ihren Eltern ein Auto. Berufliche Termine in der Stadt legt sie möglichst auf einen einzigen Wochentag. „Es geht darum, mit und nicht nur auf unserem Planeten zu leben“, sagt sie. Und dabei sei jeder Schritt gut.
www.neogruen.net

Economy Ausgabe 74-06-2009, 26.06.2009