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29. März 2024

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Der Tod - ein Fest

Der Tod - ein Festmalony

In Madagaskar werden die Toten immer wieder zur Dorffeier aus ihren Gräbern geholt.

Madagaskar ist anders. Es ist nicht ganz Afrika, weil die Bevölkerung durch die jahrhundertelange Durchmischung mit Indern, Arabern und Malaien aus einer vielfältigen Kulturund Völkermischung zu einem madegassischen Ganzen geformt wurde, das sich den Kategorien entzieht; die Christianisierung durch die Niederländer, Portugiesen, Briten und letztlich Franzosen war gründlich, aber nicht allumfassend.
Wenn Madagaskar heute zu Recht als ein im christlichen Sinne sehr frommes Land bezeichnet werden kann, dann darf man nicht vergessen, dass die animistischen Traditionen der afrikanischen Naturreligionen nie aufgehört haben zu existieren.
Genau dieser Tradition ist es zu verdanken, dass ein ungewöhnlicher Kult die Epochen überdauert hat, der weltweit – abgesehen von Sulawesi in Indonesien, wo er in modifi zierter Weise auch betrieben wird – einzigartig ist. Es handelt sich um die „Umbettung der Toten“, ein Begriff, der aus dem madegassischen Wort „Famadihana“ nur unzureichend übersetzt ist. Es ist ein Ahnenkult, überhaupt nicht gerne von den christlichen Missionaren gesehen, aber dennoch zwangsläufig geduldet, weil er entfernte Anklänge an den Mythos der Auferstehung zeigt.
Das Famadihana ist für die Madegassen ein Fest. In ihm erhält der Tod eine völlig andere Bedeutung, als wir sie kennen. Je nach Volksgruppe modifi ziert, wird dabei der Leichnam eines Verstorbenen, eines Ahnen, nach einer gewissen Zeit und immer wieder aus seinem Grab hervorgeholt, neu eingekleidet und zum zentralen Ereignis eines fröhlichen Festes gemacht.

In neue Tücher gehüllt
Dazu muss man wissen, dass die Begräbnisrituale in Madagaskar eine Besonderheit aufweisen. Es gibt Stämme, die ihre Toten nicht auf einem Friedhof begraben, sondern in Blechsärgen auf Berghängen oder in Felsspalten zur Ruhe betten. Dort sind sie – ähnlich wie bei den Parsen, der indischen Zarathustra- Sekte – den Geiern zum Fraß preisgegeben. Andere wiederum betten ihre Verstorbenen in Steingräber, gehüllt in Leinentücher, und geben sie der Verwesung preis.
Die Umbettung der Toten hat zum Zweck, den Leichnam nach einer bestimmten Periode – zwischen einem und vier Jahren – in neue Tücher zu hüllen, das Grab zu reinigen und auch frisch zu bemalen und dem Toten die Ehre eines Festes angedeihen zu lassen. Dahinter steckt der Glaube, dass die Toten nach dem Dahinscheiden weiterleben und daher nach wie vor Bestandteil einer Dorfgemeinschaft sind.
Die festlichen Zeremonien des Famadihana dauern mehrere Tage bis zu einer Woche. Die Festlichkeiten werden vorbereitet, Freunde und Verwandte eingeladen, Rinder und Kühe geschlachtet, Speis und Trank organisiert. Am darauffolgenden Tag wird der Leichnam aus seinem Grab geholt, in neue Leinen gebettet, auch wenn er nur mehr aus Knochen besteht, und an einen zentralen Ort im Dorf gelegt, sodass er das Fest auch gut im Blick hat. Es wird alsdann gefeiert, getanzt, Rum und Bier getrunken, gesungen und gegessen.
Tags darauf gibt es eine Prozession zum Grab, wo um den Toten getraut wird, die Dorfältesten Reden halten und oft auch die madegassische Nationalhymne gesungen wird. Bis zum Sonnenuntergang sollte der Ahne wieder zurück in seinem Grab sein. Den genauen Tag der Zeremonie bestimmen weise Männer nach dem Stand der Sterne. Dieses Ritual wird so alle paar Jahre wiederholt, bis der Leichnam endgültig zerfallen ist oder – nach religöser Sprechweise – einen Weg zu Gott gefunden hat.

Ausgewählter Artikel aus dem Jahr 2006

Antony Malone, Economy Ausgabe 26-10-2006, 19.06.2015