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20. April 2024

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Der Lockruf der weiten Welt

Der Lockruf der weiten WeltTristan Rohrhofer

Ein Lebenslauf ohne Hinweis auf Auslandserfahrung ist heute praktisch wertlos.

In den vergangenen Jahrzehnten ist die Auswanderungswelle einer Auslandsarbeitswelle gewichen. Auf gehobener Management- Ebene oder vor allem im Forschungsbereich ist ein Lebenslauf ohne Hinweis auf Auslandserfahrung praktisch wertlos. Bereits während des Studiums sollte man zumindest ein Auslandssemester absolvieren. Andernfalls werden vor allem junge Akademiker ohne einschlägige Berufserfahrung bei Bewerbungen tendenziell nach hinten gereiht. Aber auch im Berufsleben wird Auslandserfahrung immer wichtiger. Die meisten schnuppern ein paar Monate, viele bleiben ein paar Jahre, und manche wollen nur noch von Land zu Land ziehen.
Sabine Schaden, derzeit in der Peugeot-Zentrale in Paris im Marketing tätig, bringt ihre Einstellung schnell auf den Punkt: „Eine Auslandserfahrung macht eigentlich nur Lust auf die nächste. Ich bekomme kaum genug davon.“ Nicht süchtig auf Ausland, aber eher als Schuhlöffel für die Karriere sieht es Christoph Ulmer, Vorstand bei der CE Oil & Gas Trading, der einige Zeit bei HSBC in London (siehe auch Karriere- Spalte rechts) tätig war: „Mich reizt vor allem ein attraktives berufliches Angebot. Das war auch der Grund, warum ich jetzt wieder in Österreich bin.“

Halbe Million im Ausland
Ständig außerhalb von Österreich leben rund 400.000 Inhaber der österreichischen Staatsbürgerschaft. Dazu kommen noch einige 100.000 gebürtige Österreicher, die bereits die Staatsbürgerschaft ihrer neuen Heimat angenommen haben. Oft werden die „klassischen“ Auslandsösterreicher als das „zehnte Bundesland“ bezeichnet. Die Mehrzahl der Auslandsösterreicher lebt und arbeitet in Deutschland (185.000) und in der Schweiz (40.000). Dazu kommen 36.000 in Mittel- und Südamerika, 30.000 in Australien, 28.500 in den USA und 22.500 in Afrika (vor allem in Südafrika). Weitere 62.256 haben zwar ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland, arbeiten aber ebenfalls im Ausland, überwiegend in Deutschland und der Schweiz, als Tages- oder Wochenpendler. Die meisten österreichischen Auswanderer der Nachkriegszeit verließen Österreich aus wirtschaftlichen Gründen. Bekannte österreichische Auswanderergemeinden befinden sich in Südamerika, zum Beispiel in Dreizehnlinden in Brasilien, Pozuzo in Peru oder Independencia in Paraguay. Dort wird auch heute noch österreichische Kultur gepfl egt. So fühlt man sich in Dreizehnlinden eher in ein Tiroler Bergdorf versetzt.
Dass aller Anfang schwer ist, zeigen nicht nur die Erfahrungen der Auswanderer der 50er- und 60er Jahre. Heute zählt vor allem die berufliche Erfahrung. Persönlich macht vor allem der Mentalitätsunterschied vielen zu schaffen. „In Frankreich beginnen die meisten Besprechungen mit zehn bis 30 Minuten Verspätung. Und meistens gibt es keine Themenplanung. Kaffee- und Mittagspausen dauern wesentlich länger. Dafür ist es hier für jeden selbstverständlich, abends länger zu arbeiten – ohne bezahlte Überstunden. Der Vorteil ist, dass man seine Kollegen wesentlich besser kennen lernt. Der eindeutige Nachteil: weniger Freizeit“, resümiert Schaden. Ulmer hingegen empfi ehlt, sich vor Job-Antritt Zeit im neuen Land zu nehmen, um sich besser einzuleben.
Aber auch Österreich wird als Arbeitsland immer attraktiver. Nicht nur der Tourismus zieht tausende Saisonniers an. Im gehobenen Management lässt es sich in Österreich ebenso aushalten. So hat zum Beispiel der gebürtige Münchner und mittlerweile bekennende Wiener Michael Wengermayer, Country Manager beim Software- Anbieter Computer Associates, gute Erfahrungen in Österreich gemacht: „Mein Vorteil war sicher, dass für mich als Bayer kein wirklicher Mentalitätsunterschied zu den Wienern existiert. Münchner und Wiener sprechen doch weitgehend die gleiche Sprache. Der Umgangston muss nicht interpretiert werden. Schon oft habe ich miterlebt, dass Vertreter der nördlichen deutschen Bundesländer doch gravierende Schwierigkeiten hatten, ihr Anliegen verständlich und ohne anzuecken vorzutragen.“ Und das obwohl man dieselbe Sprache spricht. Überwunden wird diese Hürde oft mittels sozialer Kompetenz. „In Österreich wird in vielen Bereichen starkes Gewicht auf die Ausprägung von Sozialkompetenzen gelegt. Diese Erfahrungen können gerade beim Einstieg in eine neue Funktion sehr hilfreich sein“, argumentiert Ulmer. Ob das der Grund ist, dass viele österreichische Spitzenmanager lieber im Ausland arbeiten, sei dahingestellt.
Einig sind sich Schaden, Ulmer und Wengermayer in einer anderen Sache: Die größte Hürde ist für sie der Kontakt zu Freunden und Verwandten. „Es ist schwierig, mit seiner Familie und Freunden in Verbindung zu bleiben. Es bleibt nach einer gewissen Zeit nur der Kontakt zu den engsten Freunden bestehen“, berichtet Schaden.

Kinder und Freunde leiden
Am meisten zu leiden haben sicher Kinder, „die ihre Freunde und die gewohnte Umgebung zurücklassen müssen“, bestätigt Wengermayer und ergänzt: „Und sicher war es nicht förderlich, dass zu diesem Zeitpunkt der Klassenvorstand in einem Wiener Gymnasium die aufkommenden Piefke- und sogar Nazi-Hetzparolen keinesfalls unterband, sondern noch unterstützte.“ Dieser Zustand konnte nur durch einen Schulwechsel überwunden werden.
Schwierigkeiten hatte jeder zu überwinden. Doch ist es im Grunde immer nur die Erfahrung, die zählt? „Ich kann mir im Moment gar nicht vorstellen, wieder nach Österreich zurückzugehen. Mir ist das Land derzeit zumindest zu klein“, erklärt Schaden offen, obwohl sich das sicher irgendwann wieder geben könnte. „Aber wenn ich wieder nach Österreich komme, zumindest für eine Zeit lang, dann wird der Anpassungsprozess sicher genauso schwierig wie die Anfangszeit im Ausland werden.“

Ausgewählter Artikel aus dem Jahr 2006

Links

Klaus Lackner, Economy Ausgabe 20-08-2006, 29.05.2015