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24. April 2024

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Bergauf und höher hinaus

Bergauf und höher hinausBurgtheater

Sie sind auf der Suche, getrieben und pfeifen auf das Business. Sie wollen es in der Welt da draußen schaffen und folgen nur ihrer Bestimmung. Der Künstlerberuf regt viele zum Schwärmen an, wäre da nicht die finanzielle Realität. Doch das digitale Zeitalter mischt alte Berufsbilder neu auf.

Die Kunstwelt erzählt sich die Geschichte seit vergangenem Herbst immer wieder. Als im September bei Sotheby’s in London 223 Exponate von Damien Hirst 140 Mio. Euro einspielten, räumten in Manhattan die Mitarbeiter von Lehman Brothers gerade ihre Büros. Die Blase von Finanz- und Kunstwelt war geplatzt. Von nun an sollten sich die Zeiten ändern.
„Hungernd“ wird Künstlern gern als erstes Adjektiv beigestellt. Überhaupt scheinen Kunst und Krise ein enges Verhältnis zu pflegen – persönliche Krise oder jene der Weltwirtschaft. In den USA sind Kunstkenner inzwischen der Ansicht, dass die Rezession die Kunst in die Qualität zwingt. Die Entscheidung für den Künstlerberuf wird dennoch abseits vom Marktzustand getroffen. Nötig sind Überzeugung und Getriebenheit, am besten eine gute Portion davon. Der Maler Philip Guston soll seinen Studenten gesagt haben: „Wenn man es jemandem ausreden kann, Künstler zu sein, hätte er von vornherein keiner sein sollen.“

Christian Winkler, Regisseur
In Christian Winklers Thea­ter-Soap Life of Graz Vol. 1-6 singen ein gewisser Ralf Hitler und seine Schwester Liebeslieder, Pfirsichspritzer werden entkorkt, im Radio spielt die Band Nirvana. Die Soap war Winklers erste Auftragsarbeit für das Schauspielhaus Graz. Der gebürtige Steirer lebte in London, nun zieht er nach Hamburg. In Graz studierte er Germanistik, in London Regie und Kulturmanagement. Dass er schreiben würde, wusste er schon früh. Gedacht, dass sich damit Geld verdienen lässt, hat er da aber noch nicht. Viel, sagt Winkler, hänge damit zusammen, wie man sozialisiert werde: „Wer immer hört, dass er damit kein Geld verdienen kann, lässt es vielleicht wieder.“ Während seines Kunststudiums in London wusste er es schließlich „so ganz richtig“. Gleichzeitig wurde die Konkurrenz auf dem Markt deutlich. Viele studierten Regie, alle mit ähnlichem Ziel. „Es ist vielleicht nicht schwierig, im administrativen Bereich der Kunst zu arbeiten. Das ist aber nicht Künstler sein. Das hat immer mit Selbstverwirklichung zu tun“, stellt Winkler klar. Es ginge nicht, sich als Künstler auszuweisen und gleichzeitig fürs finanzielle Überleben in einer Bar zu arbeiten. Irgendwann muss der Sprung ins kalte Wasser sein, alles oder nichts, allerdings mit Deadline. „Wenn ich ein halbes Jahr oder ein Jahr wirklich kein Geld damit verdiene, muss ich etwas anderes machen.“
Winklers Karriere begann mit einer Chance. Beim Regiestudium hatte er den Auftrag bekommen, ein Stück für das Edinburgh Festival Fringe zu inszenieren. Der Produzent ging mit dem Neuling schon ein kleines Risiko ein, doch alles wurde gut. Das Stück erhielt Auszeichnungen, und Winkler bekam Jobangebote. 2007 gewann er den Retzhofer Literaturpreis: „Da hab ich dann richtig zu schreiben angefangen.“
Umgehen können muss man vor allem mit Kritik. Die Selbstsicherheit nicht verlieren, wenngleich hinter der Arbeit meist ein ganz persönlicher Grund steckt. Kalt lässt einen schlechte Kritik freilich nicht: „Jeder lügt, der sich nicht einmal gefragt hat: Bin ich hier richtig, kann es vielleicht jemand besser?“ Selbstzweifel sieht Winkler als Antriebsmotor. Weil Kunst eben sehr viel mit einer Suche zu tun hat.
Anfängern rät Winkler, bei Wettbewerben mitzumachen, ein Netzwerk aufzubauen, es in der freien Szene zu probieren. Mit Förderungen lässt sich zumindest genug Geld bekommen, um nichts daraufzuzahlen. Wer es zuerst bei kleinen Bühnen versucht, wird auch nicht sofort vor die große Kritik gestellt: „Dass man nicht gleich am Anfang den Hunden ausgeliefert ist.“ Sein Stück Don Quixote und die Helden der Mantscha hatte im April Premiere am Schauspielhaus Graz. Für die nächste Spielzeit entsteht das Auftragswerk Die Entstehung der Arten. „Ich weiß also, was ich bis Oktober 2010 mache“, sagt Winkler.

Martin Fuchs, Fotograf
Martin Fuchs ist gerade nach New York gezogen. „For good“, wie er in seinem Blog schreibt. Vor dreieinhalb Jahren begann er in Österreich zu fotografieren und ist dort ganz schön weit gekommen. Durch harte Arbeit, viel Glück und Fotoredakteure, die seine Arbeit mochten. „Ich habe für so ziemlich alle Me­dien fotografiert, die für meine Arbeit relevant sind.“ Manchmal lenkt er ein und meint: „Ich weiß, das klingt arrogant.“
Jetzt jedenfalls ist Fuchs in der Stadt, in der er leben und arbeiten möchte. Medienlandschaft und Fotografenszene sind in New York ganz anders als in Österreich. Tolle Magazine gebe es, sagt Fuchs, und die beste Zeitung der Welt. Ob es ein bisschen wie der Rezession ins Gesicht spucken sei, als Künstler gerade jetzt hierherzukommen, verneint er. Den Abschwung hat er auch schon in Österreich gespürt. Es gab deutlich weniger Aufträge, wenngleich er sich um sein Auskommen keine Sorgen machen musste. „Ich hatte meine Kunden, teilweise sehr gute Kunden.“ Hier in den USA wird die Krise nicht morgen und vielleicht auch nicht in einem Jahr vorbei sein. Aber irgendwann kommt alles zurück: „Bei dem Schwung will ich dabei sein. Dass ich dann mit bergauf fahre und noch ein bisschen höher hinaus.“
2005 kam Fuchs erstmals nach New York, als Praktikant für Magnum Photos. „Es war ein Wahnsinn. Das erste Mal bin ich mit zitternden Knien ins Büro gegangen“, erinnert er sich. Heute ist er wieder bei Magnum angestellt. Die Mystik um die von Henri Cartier-Bresson und drei seiner Fotografenkollegen gegründete Kooperative hat sich verflüchtigt. Drei Tage die Woche arbeitet Fuchs dort als Designer. Dazwischen wird er schon einmal zu einem Fotografenforum nach Malaysia eingeladen, fotografiert für Zeitungen und Magazine und geht seinen Projekten nach, wie einer Fotostory über Co-Op City im Stadtteil Bronx. Über 15.000 Wohneinheiten gibt es dort in 35 Hochhäusern. In Co-Op-City ist die Mittelklasse zu Hause, es ist ein ganz normaler, langweiliger Ort, an dem nicht viel passiert. Dort redet Fuchs mit den Leuten, hört sich ihre Geschichten an, fotografiert mit Mittel­formatfilm.
Als Künstler sieht er sich weiterhin nicht. Aber Fuchs möchte sich nicht zu sehr auf Bezeichnungen versteifen: „Ich bin einfach Fotograf.“ Zweifel, ob sein Talent ausrerrichten, hat er dauernd .“Und ich bin noch lange nicht dort wo ich sein möchte“, sagt er. „aber ich mach das was ich liebe."

Malena Bergmann, Bildhauerin

„Ja, sicher würde ich verkaufen!“, lacht Malena Bergmann, „aber die Kunst, die ich mache, verkauft sich nicht.“ Bergmann baut Skulpturen aus Regenwürmern, manchmal mit einer toten Katze, Bewegungsmeldern, ihren eigenen Haaren, Wachs oder Samt. Sie lebt im amerikanischen Süden, wo Kunst möglichst noch als Bild an der Wand hängen sollte. Hier käme den Leuten ihre Materialwahl noch exotischer vor, als dies vielleicht in Europa der Fall wäre, glaubt Bergmann.
Dabei begann sie mit Malerei, und ihre Bilder verkauften sich. „Ich studierte Malerei, unter anderem weil ich nicht wusste, dass es viele andere Möglichkeiten gibt“, erzählt sie. Als sie das Studium abschloss, war es auch mit ihrem Interesse an der Malerei vorbei. Danach folgte eine Zeit der Suche. Sie wollte etwas mit ihren Händen herstellen, Objekte aus der Umgebung verwenden, auch, wie sie meint, weil ihr die Fertigkeiten zur klassischen Bildhauerei fehlten. „Mein Hund fand immer diese Skelettstückchen von kleinen Tieren. Die begann ich zu sammeln“, erzählt Bergmann. Zur Plastik kam sie schließlich „schrittweise und durch Zufall“.
Malena Bergmann unterrichtet am Institut für Kunst und Kunstgeschichte an der University of North Carolina at Charlotte. Die Uni-Karriere ist mehr als ein Brotjob. Die Stabilität, zu unterrichten, und die finanzielle Sicherheit, die die Stelle mit sich bringt, sind überaus wichtig. „Ich könnte es gar nicht anders machen. Immerhin muss ich Leute engagieren, weil ich Dinge mache, von denen ich nicht weiß, wie man sie macht.“
Wie zum Beispiel Film. Als sie eines Nachts von einer Frau träumt, die Boote mit ihren Haaren hinter sich herzieht, weiß sie, dass sie das Bild irgendwie umsetzen muss. Zunächst will sie die Szene für ein Foto anordnen, verwirft dies aber wieder, weil ihr das „geradezu tot“ erscheint. Es muss eine echte Frau im Wasser sein, eine bewegliche Szene. Da sie keine Filmemacherin ist, beantragt sie eine Förderung, bekommt den Zuschlag und engagiert schließlich Kameramann und Schauspielerin. Bergmann führt beim Experimentalfilm Fleeting Regie und produziert.
„Mein größtes Problem ist die Zeit“, sagt sie. Konzentriert arbeiten kann sie nur im unterrichtsfreien Sommer. In den restlichen neun Monaten bleibt ihr, über die Projekte nachzudenken. „Zwei Vollzeitjobs und das restliche Leben zu vereinen, ist extrem herausfordernd.“ Ihre Arbeit unter die Leute zu bringen, wäre ein weiterer Vollzeitjob. Marketing, Verhandlungen mit den Galerien, das will sie nicht machen. „Ich mache mir nichts aus dem Business hinter der Kunst“, sagt sie, lenkt dann aber ein: „Ich finde einfach nicht genug Zeit, um meine Kunst bekannt zu machen.“ Daher verlegt sie sich lieber auf deren Produktion.
Zweifel, dass Kunst nicht das Richtige für sie ist, hatte Bergmann nie. „Ich wollte es immer schon machen, auch wenn es finanziell oder logistisch sinnlos gewesen wäre“, sagt sie bestimmt. Was sie macht, gibt ihrer Welt Bedeutung. „Ich schaffe Sinn, indem ich Kunst produziere.“ In einem Statement auf ihrer Website schreibt Bergmann von einer Deadline. Der, tot zu sein. Die Dringlichkeit, die sie daraus schöpft, lässt sie in ihre tägliche Arbeit einfließen: „Ich müsste einfach nur noch herausfinden, wie ich alles auf einmal machen kann.“


Michael Wirth, Medienkünstler

Michael Wirth ist Filmemacher und Medienkünstler, er kreiert Tanzvisualisierungen, interaktive Bilddatenbanken und arbeitet an einem Opernprojekt. Keine traditionelle Ausbildung konnte ihn auf die Kunst vorbereiten. „Es gibt so viel zu lernen, so viel kommt von dir selbst“, sagt er. Ein Buchhalter könne sich zumindest an seiner Ausbildung festhalten und sich von da weg verbessern. „Bei der Kunst musst du mit Talent beginnen“, sagt Wirth. Für 60-Stunden-Wochen und Schreibtischjobs sei er nicht gemacht. „Ich habe diesen Killerinstinkt nicht in mir“, grinst Wirth.
Im Bereich digitaler Kunst sind die allermeisten Leute Generalisten. „Seit Technologie die Kunstwelt erreicht hat, ist Multitasking zur neuen Methodologie geworden“, begründet er die Bandbreite seiner Arbeiten und auch die vieler Kollegen. Sich längere Zeit auf eine Sache zu konzentrieren, ist nicht immer ganz einfach. Zuletzt entwarf Wirth Infografiken und damit eher traditionelles Grafikdesign. „Inzwischen rufen mich aber die Musik und Themen wie körperliche Wechselbeziehungen zurück“, erzählt er.
Wirth arbeitet wie Bergmann an der University of North Carolina at Charlotte und unterrichtet Webdesign und Neue Medien. Die Unikarriere ist für seinen Beruf nicht ungewöhnlich. Die meisten digitalen Medienkünstler, die er kennt, sind an Hochschulen beschäftigt. „Mir fallen vielleicht 15 ein, die von ihren Ausstellungen leben können. Der Rest von uns muss arbeiten.“
Das akademische Leben hat seine Vorteile, zum Beispiel viele soziale Interaktionen. Wer allein arbeitet, kämpft oft mit der Abgeschiedenheit. Wenn es hart auf hart käme, dann würde es für die meisten Künstler eine Fähigkeit geben, die sie als „Cash-Cow“ nutzen könnten: „Ich würde dann meine Mappe mit Illustrationen wieder auspacken.“

Georg Russegger, Theoretiker
Wenn Georg Russegger künstlerisch arbeitet, verwendet er sein Synonym Grischinka Teufl. Wenn er das Festival „Coded Cultures“ organisiert, eine Veranstaltung im Rahmen des Österreich-Japan-Jahres 2009, heißt er Georg Russegger. Er hat vier Studien an vier Universitäten belegt. „Ich stehe nicht für klassische Künstler, die in Galerien ausstellen“, sagt er.
Bei „Coded Cultures“ geht es um neue künstlerische und kreative Fähigkeitsprofile. Die digitale Welt verlangt nach Leuten mit einem innovativen Mix an Fertigkeiten. Russegger könnte geradezu ihr Aushängeschild sein. Er arbeitet im theoretischen Kunstbereich – dieser Tage erscheint sein Buch Vom Subjekt zum Smartject –, kuratiert und organisiert Veranstaltungen, erstellt Illustrationen. „Ich wende die Praxis des Kreativseins auf verschiedene Fel­der an“, erzählt er. Wie Wirth ist Russegger der Ansicht, dass die Entscheidung für einen künstlerischen Beruf nicht so einfach zu treffen ist wie für eine herkömmliche Ausbildung. „Der Zugang zur Kunstwelt ist wesentlich freier geregelt. Es gibt kein einheitliches Berufsbild, sondern handwerkliche, konzeptuelle und kulturelle Zugänge“, erklärt er.
Zurzeit wohnt Russegger in Japan, wo er an der Tokyo National University of the Arts arbeitet. Er betreut Doktoranden, die zu ihrem künstlerischen Abschluss eine Theoriearbeit leisten wollen. Es für immer zu machen, würde für ihn einem programmatischen Stillstand gleichkommen. Denn festlegen will sich der Künstler noch nicht.

Economy Ausgabe 73-05-2009, 29.05.2009