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24. April 2024

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Meine zwei Ichs

Meine zwei IchsBilderbox.com

Wiener Neurobiologe forscht an neuem Test für komplexe Persönlichkeitsstörungen.

Vier Worte lesen, das könnte zukünftig ausreichen, um bei Kindern und Erwachsenen Persönlichkeitsstörungen wie Schizophrenie und Autismus besser zu diagnostizieren.

Erleichterung im klinischen Alltag
Für den klinischen Alltag wäre das eine signifikante Erleichterung, deren Entwicklung Peter Walla, dem Leiter des Departments für Psychologie an der Webster Vienna Private University, in Zusammenarbeit mit Cornelia Herbert von den deutschen Universitäten Tübingen und Würzburg, jetzt laut eigenen Angaben gelungen ist.
Nach ersten Veröffentlichungen in den Jahren 2007 und 2008 zeigt die diese Woche international veröffentlichte Arbeit, dass bereits beim Lesen einfacher Worte elektrische Hirnaktivitäten eine Unterscheidung zwischen zwei Ebenen des "Ich" erkennen lassen.
Diese zwei Ebenen formen unsere Persönlichkeit, das "Ich", und man vermutet, dass bei Persönlichkeitsstörungen unter Umständen nur eine der Ebenen betroffen ist. Die neue Methode könnte konkrete Hinweise auf selektive Beeinträchtigungen nur einer dieser Ebenen geben und so die klinische Diagnostik von Persönlichkeitsstörungen vereinfachen. Das wiederum würde eine frühere und bessere Behandlung ermöglichen.

Ich, Du, Er, Sie, Es
Grundlage der Arbeit ist die Beobachtung, dass die menschliche Persönlichkeit aus zwei als "Me1" und "Me2" bezeichneten Komponenten oder Ebenen besteht. Diese lassen sich durch unterschiedliche Hirnaktivitäten nachweisen und insbesondere dann, wenn das Hirn Informationen auf einen Personenbezug hin analysiert.
Die erste der beiden Komponenten unterscheidet dabei, ob eine Information irgendeinen Personenbezug hat und die zweite, ob die eigene oder eine andere Person betroffen ist. Bei Persönlichkeitsstörungen kann es nun für die Diagnose wichtig sein, diese beiden Ich-Ebenen differenzieren zu können und „genau das schaffen bisherige Diagnoseverfahren nicht“, so Peter Walla.
"Für Schizophrenie und Autismus beruhen die klassischen Diagnosen auf Befragungen und gerade bei Kindern sind diese nicht sehr zuverlässig“, sagt Walla. „Zusätzlich können Befragungen, sowie die Befragten selbst, die beiden Ich-Ebenen nicht unterscheiden. Unsere Methode erlaubt nun eine objektive Untersuchung dieser beiden Persönlichkeits-Komponenten. Damit stehen völlig neue Therapiemöglichkeiten zur Verfügung“, erläutert Walla weiter.
Das zentrale Element der nun entwickelten Methode soll dabei ihre einfache Anwendung sein: Die vier Worte "ein", "mein", "sein" und "dein" werden einer Person auf einem Computerschirm gezeigt und deren Hirnstromaktivität dann beim Lesen mittels Elektroenzephalografie (EEG) gemessen.

Unterschiedliche Aktivitäten
Mit den aktuell in Cogent Psychology veröffentlichten Daten sind laut Walla schon nach 250 Millisekunden unterschiedliche Aktivitäten im Hirn messbar. "Wurde das Wort "ein" gelesen, war zu diesem Zeitpunkt die Hirnstromaktivität ganz deutlich anders als wenn eines der drei persönlichen Pronomen "mein", "sein" und "dein" gelesen wurde (Wir). Das Hirn unterscheidet da eindeutig zwischen allgemeiner und personenbezogener Information. Dies repräsentiert die erste Ich-Ebene des Hirns."
Weitere 200 Millisekunden später unterscheidet sich die Hirnstromaktivität nach dem Lesen des Wortes "mein" stark von der nach dem Lesen aller anderen Worte. Zu diesem Zeitpunkt wird, so Walla, die zweite Ich-Ebene im Hirn aktiv. Diese erlaubt es nun, den Bezug einer Information für die eigene Person zu erkennen, wie zum Beispiel das bewusste Erleben von Gefühlen.
Aufgrund dieser neuen Erkenntnisse wird angenommen, dass bei Persönlichkeitsstörungen womöglich nur eine der beiden Ebenen betroffen sein könnte. Bisher hatte man aber keinen methodischen Ansatz, diese beiden Ich-Ebenen zu unterscheiden. Insbesondere bei Kindern war es mit den bisherigen Methoden schwer, diese zu differenzieren. Mit der nun entwickelten Methode soll aber genau das auf einfache Art und Weise erfolgen können. Aufgrund ihrer Simplizität soll sich die Methode auch für die Anwendung bei Kindern eignen und damit Möglichkeiten für eine frühere Diagnose als bisher schaffen.

Links

red/czaak, Economy Ausgabe 999999, 03.04.2015