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29. März 2024

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Dschihadismus Online

Dschihadismus OnlineUniWien_Lohlker

Kriegerische Kommunikationsstrategen.

Islamistische Terrorgruppen nutzen die Möglichkeiten des Internet ganz gezielt. Wie sie dabei vorgehen und welche Gegenstrategien sich daraus ableiten lassen, wurde in einem Projekt des Wissenschaftsfonds FWF untersucht.
Abenteurerromantik, eingängige Musik, paradiesische Verlockungen und Heilsversprechen: Das ist eine Version der Selbstdarstellung, die radikale islamistische Strömungen im Internet verbreiten. Nicht nur gewalttätige Inhalte zählen. Vielmehr wird auf der ganzen Klaviatur des "Storytelling" in eigener Sache gespielt.

Entwicklung von Gegenstrategien
"Viele Videos lehnen sich an die Ästhetik von Computerspielen an", so Rüdiger Lohlker von der Uni Wien. Der Islamwissenschafter forscht seit Jahren über islamische Internetauftritte und leistet damit wichtige Pionierarbeit.
In einem vom FWF geförderten Projekt haben Lohlker und sein Team nun den Fokus auf globale dschihadistische Strömungen und ihre Onlinepräsenzen gelegt. "Wir müssen die Strategien der Dschihadisten verstehen, um Gegenstrategien entwickeln zu können. Noch ist das nicht ausreichend der Fall", betont Lohlker.

Soziale Aspekte im Fokus
Ein Grund für dieses fehlende Verständnis ist, dass sich die Dschihadismusforschung bis dato vorwiegend auf den Sicherheitsbereich konzentriert hat. Betrachtet man die aktuellen Entwicklungen, die von einer dschihadistischen Online-Subkultur zusehends in einen Online-Propagandakrieg münden, greift die reine Sicherheitsforshung sicherlich zu kurz.
Mit dem FWF-Projekt konnte nun eine Forschungslücke geschlossen werden, indem der Fokus der Untersuchungen auf die sozialen Aspekte der radikalen Gruppierungen und ihrer Online-Auftritte gelegt wurde. Konkret analysierten die Forscher drei Ebenen: die religiöse, die rhetorische und die visuelle.
Sowohl das islamische Wissen der Wissenschafter als auch die Sprachkompetenzen spielten dabei eine wesentliche Rolle. Rüdiger Lohlker und sein Team untersuchten vorwiegend arabischsprachige Internetplattformen. Diese seien noch immer die zentralen Internetpräsenzen, erklärt der
Forscher: "Das Arabische ist die Schwelle, um im dschihadistischen Milieu anerkannt zu werden."

Internet-Profis
In zahlreichen Untersuchungen wurden primär Internetforen und eine Vielzahl an Videos untersucht. Dabei zeigt sich, dass die Werkzeuge der dschihadistischen Kommunikationsstrategen immer mehr professionellen PR-Werkzeugen der Privatwirtschaft ähneln. Corporate Design und Corporate Wording kommen zum Einsatz.
Das bedeutet, wiederkehrende und leicht identifizierbare visuelle Symbole werden abgestimmt auf religiös begründete sprachliche Argumentationsmuster. Allgemeine islamische Diskurse werden dabei in dschihadistische umgedeutet und als Legitimation der radikalen Aktivitäten genützt.
"Auch die Verteilungsstrategien von Materialien sind sehr gut, vergleichbar mit der Gaming-Industrie", berichtet Lohlker. Und schließlich spielt auch die Kontaktanbahnung eine zentrale Rolle im Internet. Die Forscher konnten aufzeigen, wie mittels einer Art Loyalitätseid potenzielle Mitstreiter eingeschworen werden.

Nutzen für die Gesellschaft
Als nächste Schritte sind Big-Data-Analysen geplant, die sich auf der aus dem FWF-Projekt nun vorhandenen "Matrix" weiterführen lassen. Dem Anspruch der Wissenschafter ist damit nicht aber genüge getan. Sie wollen auch praxistaugliche Strategien zur Deradikalisierung entwickeln.
"Nur so können wir den Dschihadisten ihre Grundlagen entziehen", ist Lohlker überzeugt. "Denn gerade in der Prävention, aber auch in anderen zentralen Bereichen, gibt es nach wie vor einen verblüffenden Mangel an Verständnis über diese Internet-Aktivitäten", ergänzt der Experte.

Gegenmaßnahmen
Um Gegenmaßnahmen zu entwickeln, wurde aus dem FWF-Projekt beispielsweise eine Online-Strategie entwickelt und auch schon auf ihre Tauglichkeit erprobt. Darüber hinaus beteiligt sich das Institut aktuell am Aufbau eines Zentrums in Indonesien, in dem rund 4.000 Aktivisten einer großen muslimischen Organisation ausgebildet werden sollen, um Deradikalisierung voranzutreiben.
"Davon könnten wir auch in Österreich und Europa profitieren, indem wir Multiplikatoren ausbilden, die sowohl eine solide Kenntnis der Religion haben, als auch versiert sind im Umgang mit dem Internet,“ erläutert Lohlker. Es brauche die Förderung von Aktivitäten, die aus der Zivilgesellschaft kommen, ist der Forscher überzeugt. Da gelte es, die Kontrolle aus der Hand zu geben, so sein Rat. "Denn bürokratisch funktioniert das Internet eben nicht."

Ausgewiesener Experte und Buchautor
Rüdiger Lohlker ist seit 2003 Professor für Islamwissenschaften am Institut für
Orientalistik der Universität Wien. Er hat zahlreiche Publikation zu islamistischen Bewegungen im Internet veröffentlicht und betreibt unter anderem den Blog "Die Sandalen von Sind" (https://lohlker.wordpress.com).
Aus dem Forschungsprojekt sind auch drei Sammelbände von ihm hervorgegangen: Jihadism: Jihadi Thought and Ideology (Berlin: Logos 2014), Online Discourses and Representations (Göttingen: Vienna University Press 2013) und New Approaches to the Analysis of Jihadism: Online and Offline
(Göttingen: Vienna University Press 2012).

Links

red/czaak, Economy Ausgabe 999999, 13.03.2015