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19. März 2024

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Laut gebrüllt ist halb gewonnen

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Die Angst vor Karl Roves Wahlkampfmethoden sitzt bei den Demokraten zu Recht tief: Der Politstratege holte zwei Wahlsiege für George W. Bush. Auch beim Kongresswahlkampf ist Rove nun wieder in seinem Element.

Erst vor einem Jahr“, schreibt Tim Dickinson im Magazin Rolling Stone, „war die Republikanische Partei für tot erklärt worden.“ Ohne nennenswerte Führungsfiguren und von zwei verheerenden Wahlen gezeichnet – die Kongresswahlen 2006 und Obamas Kür zum Präsidenten zwei Jahre später – schien die Grand Old Party (GOP) ideenleer und ausgelaugt. Dass im Sommer des darauffolgenden Jahres die Medien rund um die Uhr von einer neuen republikanischen Protestbewegung berichten sollten, schien da noch unvorstellbar. Mobilisierung war nicht der Begriff, den man nach der Niederlage John McCains mit den Konservativen in Zusammenhang brachte.

Roves Schmutzkübel
Heute zittern die Demokraten vor der Teaparty-Bewegung, deren Leute zu Zehntausenden auf die Straße gehen, Amerika zurückfordern und vor wenig zurückschrecken: Obama als neuen Hitler zu beschimpfen gehört jedenfalls nicht dazu. Inzwischen gilt als nahezu sicher, dass bei den Kongresswahlen im November kein Stein auf dem anderen bleiben wird. „Die beunruhigendste Geschichte der heurigen Wahlen verbirgt sich hinter einer seltsamen Kombination aus Zahlen und Buchstaben“ steht im New York Times-Editorial vom 18. September. Gemeint ist 501(c)(4), eine Rechtsform für gemeinnützige Organisationen, denen Unternehmen, ohne Deklarierung wohlgemerkt, Geld für den Wahlkampf zukommen lassen können. Einzige Bedingung des Gesetzgebers: Die Organisationen, die zumindest in der Theorie dem sozialen Wohl dienen sollten, dürfen bei ihren Wahlempfehlungskampagnen Kandidaten nicht beim Namen nennen. Hinter manchen Gruppen stehen bekannte Gesichter – wie etwa Karl Rove hinter American Crossroads. George W. Bushs Schmutzkübelcampaigner unterhält laut New York Times bereits Kampagnen gegen Demokraten in Kalifornien, Pennsylvania und Nevada.
Die Angst vor Rove sitzt bei den Demokraten tief. Seine Wahlkampftaktik, ohne Rücksicht auf Verluste auf die Schwächen des politischen Gegners einzudreschen, brachte Bush immerhin zwei Wahlsiege ein. In Erinnerung ist etwa der Präsidentschaftswahlkampf 2004, als sich Bush auf John Kerrys Meinungsänderung zur Irakkriegfinanzierung einschoss. Erst 2006, als die Republikaner Senat und Repräsentantenhaus an die Demokraten verloren, musste Rove eine Niederlage einstecken.

Der 70-Millionen-Dollar-Bericht
Acht Jahre zuvor begann alles damit, dass Bill Clinton erklärte: „Ich hatte keine sexuelle Beziehung mit dieser Frau, Fräulein Lewinsky.“ Der Präsident verteidigte sich gerade gegen die Anschuldigung, eine frühere Mitarbeiterin, Paula Jones, sexuell belästigt zu haben. Der mit der Untersuchung Clintons beauftragte Jurist Kenneth Starr trug schließlich einen 70-Mio.-Dollar teuren Bericht zusammen, auf dessen Basis ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten eingeleitet wurde.
Den entscheidenden Hinweis hatte Starr von Linda Tripp erhalten, einer Vertrauten Lewinskys, die Telefonate aufzeichnete. Dass Teile aus dem mit – wie Kritiker meinen – unnötigen sexuellen Details gefüllten Bericht an die Presse gelangten, gilt gewissermaßen als Beweis des politischen Kalküls hinter dem Verfahren. Der Schuss ging letztlich nach hinten los: Weder verlor Clinton sein Amt, noch konnten die Republikaner die Stimmung im Herbst 1998 im Vorfeld des Amtsvergehens für einen Erfolg bei den Kongresswahlen nutzen. Repräsentanten­haussprecher Newt Gingrich, der das Amtsenthebungsverfahren vorangetrieben hatte, musste kurz danach seinen Hut nehmen. Ihm war nicht zuletzt sein eigenes, mitunter ausschweifendes Privatleben in die Quere gekommen. Als Clinton im Jänner 2001 an Bush übergab, bestätigten ihn Umfragen als einen der beliebtesten Präsidenten nach dem Zweiten Weltkrieg.
Lösungen für die Probleme der Amerikaner, vor allem die Arbeitslosigkeit, haben Teaparty-Anhänger und Republikaner nicht parat. Doch es gelingt ihnen, die Bevölkerung aufzuwiegeln und der Regierung die Schuld zu geben. Und sie setzen auf Altbewährtes: aus Prinzip alles abzulehnen, was von demokratischer Seite vorgeschlagen wird.

Angedrohter „Change“
Vom lauten Gebrüll und von der Androhung, bei den kommenden Wahlen erneut einen „Change“, eine Veränderung herbeizuführen, wirken die Demokraten höchst beeindruckt. Wahrscheinlich zu Recht. Denn dass das Stimuluspaket allein im ersten Jahr zwei Millionen Jobs geschaffen haben soll und dass Obama die erste Version einer allgemeinen Krankenversicherung durchgesetzt hat, interessiert derzeit niemanden.

Economy Ausgabe 87-10-2010, 01.10.2010