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19. März 2024

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Der Traum vom Real Time-Pink Cadillac

Der Traum vom Real Time-Pink Cadillacpiqs.de/cyanopolis

Sind Echtzeit-Unternehmen mit Just in Time-Produktion und verzögerungsfreier Logistik wirklich die Zukunft?

Nehmen wir an, Sie gehen zum Autohändler und wollen sich (endlich!) Ihren Traum erfüllen und einen Cadillac kaufen. Allerdings: Rosarot muss er sein, mit lilafarbenen Ledersitzen. Und: Sie wollen ihn binnen drei Wochen. (Also rechtzeitig, bevor die Vernunft Sie wieder in Geiselhaft genommen hat.) Was, meinen Sie, wird geschehen? Richtig: Der ansonsten gut sortierte Händler hat partout kein Exemplar dieser speziellen Machart lagernd. Und er wird Ihnen versichern, er könne Ihnen den Cadillac wohl liefern – jedoch frühestens in drei Monaten. Auf Ihre energische Frage nach dem „Warum“ wird er Ihnen antworten: „Wir müssen ihn doch schließlich erst herstellen!“
Sie bohren weiter: „Gerade heute werden doch ganz sicher einige Cadillacs produziert. Warum denn nicht gleich ein rosafarbener?“ Er antwortet: „Wir haben nicht gewusst, dass Sie einen solchen haben wollen.“ Daraufhin spielen Sie Ihr Killerargument aus: „Hiermit habe ich es Ihnen gesagt, nun wissen Sie es!“ Der unter Druck gesetzte Händler daraufhin: „Wir haben in der Fabrik vermutlich keine rosa Farbe lagernd. Und bis die defi nitive Bestellung bei der Produktionszentrale ist und danach Ihr Wunsch unserem Partner, der Farbfi rma, übermittelt wurde und diese den Sonderlack an uns geschickt hat, vergehen locker zwei bis drei Wochen!“ Mit dieser Antwort zufrieden, wechseln sie nun zu den Ledersitzen. Der Verkäufer beginnt allmählich seine Contenance zu verlieren. Das beschriebene Szenario stammt von Apple-Mitbegründer Steve Jobs, der diese Vision bereits vor einem Jahrzehnt der Industrie mit den Worten empfahl: „Wenn Sie den konkreten Ablauf zurückverfolgen, werden Sie zwangsläufi g entdecken, dass das Problem nicht nur darin besteht, wie lange es braucht, das Auto rein materiell herzustellen. Sondern vor allem auch, wie lange die jeweiligen Informationen benötigen, durch das System zu fl ießen. Elektronen hingegen bewegen sich in Echtzeit.“
Die Argumentation von Steve Jobs ist aus zwei Gründen bemerkenswert: Zum einen sah er sehr klar die Option voraus, durch computervermittelte Kommunikation ganz wesentlich beschleunigte Produktionsabläufe (Just in Time-Produktion) zu erzielen. Zum anderen begann sich seither auch der Charakter der Produktion in vielen Branchen prompt zu verwandeln. Und zwar von einer gleichförmigen industriellen Massenfertigung hin zu individualisierten, das heißt für die Bedürfnisse des Kunden maßgeschneiderten Lösungen und Produkten (Customerization).

Zu schnell für diese Welt
Konkret: Der Cadillac-Händler 2006 ist mit der Zentrale vernetzt, diese wiederum mit ihren Zulieferern. Und alle Beteiligten verfügen über ein homogenes Software-System, welches alle Daten automatisch an die richtigen Adressaten weitergibt. Ihr Sonderwunsch ist also binnen weniger Sekunden bei allen an der Herstellung beteiligten Partnern in Evidenz. Im Idealfall werden alle nötigen Sonderteile an den Ort der endgültigen Assemblierung Ihres „Pink Cadillacs“ unverzüglich in Bewegung gesetzt. Dort angelangt, können sie zeitlich optimal in den aktuellen Produktionsablauf integriert werden. Und durch die tendenzielle Verkürzung der Transportzeit, der nötigen Produktiv-Informationen und Kenndaten gegen null setzt sich Ihre Wartezeit nur mehr aus der unabdingbaren Herstellungszeit und den echten, den physischen Transportzeiträumen der Einzelteile und des Endprodukts zusammen.
Aus der Traum: Letzteres bedeutet nämlich, dass jedwede „Echtzeit-Produktion“ zumindest bei handfesten Gütern eine Utopie bleiben wird, wie der US-Zeit-Experte Jeremy Rifkin in einem Interview spöttisch anmerkte: „Die neuen Technologien wie das Internet erlauben es den Menschen zwar, ihr Leben in Lichtgeschwindigkeit zu organisieren. Der traditionelle Kapitalismus des Marktplatzes wurde jedoch nicht für eine so schnelle Gesellschaft konzipiert. Und so bleibt das Kaufen und Verkaufen von nondigitalen Waren wohl auch in Zukunft eine träge Sache.“

Ausgewählter Artikel aus dem Jahr 2006

Jakob Steuerer, Economy Ausgabe 15-08-2006, 26.05.2015