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19. April 2024

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Der Exodus der klugen Köpfe

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Österreich interessiert sich kaum für seine Spitzenforscher: Seit Jahren leidet das Land unter einem anhaltenden Braindrain. Hoch qualifizierte Wissenschaftler verlassen reihenweise das Land. Die wenigen Forscher, die einwandern, können den Verlust bei Weitem nicht ausgleichen.

Die besten österreichi­schen Wissenschaftler arbeiten im Ausland. Nicht immer lockt sie das Geld an Universitäten und Institute, nicht deren Renommee, aber fast immer „das System“.

Verlorene Intelligenz
Österreich interessiert sich kaum für seine Spitzenforscher. Aufgrund der unbeweglichen Strukturen an den Universitäten, in denen Studenten erst spät selbst gewählte Fragestellungen bearbeiten können, bleibt auch der Nachwuchs auf der Strecke. Fazit: miese Arbeitsbedingungen für kluge Köpfe.
Die Folge ist ein seit Jahrzehnten anhaltender Braindrain. Hoch qualifizierte Wissenschafter verlassen reihenweise das Land. Die wenigen Forscher, die einwandern, können den Verlust bei Weitem nicht ausgleichen. „Die Bilanz stimmt nicht“, klagte bereits vor einiger Zeit Peter Schuster, der Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
Mit dem 57-jährigen Biochemiker und Gentechnikpionier Erwin Wagner kehrte beispielsweise einer der klügsten Köpfe Österreich den Rücken, um in Madrid das zu tun, was hier nicht möglich war: frei zu forschen. Im Nationalen Zentrum für Krebsforschung Spanien übernahm er den Posten des Programmleiters. In den nächsten Jahren sollen unter seiner Führung rund 80 Wissenschaftler versuchen, die Geheimnisse von Krebszellen zu entschlüsseln. Seit 25 Jahren arbeitet Wagner mit genmanipulierten Mäusen und ihren Stammzellen. Er beschäftigt sich mit der Frage, welche Gene das Wachstum und die Teilung der Zellen regulieren. Sein Ziel: jene krankhafte Zellwucherung zu stoppen, an der 22 Millionen Menschen weltweit leiden. Wagner hat an den besten Instituten Europas und in den USA gearbeitet, auch mit dem späteren Medizin-Nobelpreisräger Richard Axel. 1996 gewann er mit dem Wittgenstein-Preis die höchste Auszeichnung des Landes und veröffentlichte bis heute rekordverdächtige 250 wissenschaftliche Artikel. Nebenbei kümmerte er sich als Universitätsprofessor um den wissenschaftlichen Nachwuchs.
Seit Jahren versucht man in Österreich, das Versagen als Forschungsstandort zu korrigieren und die Rahmenbedingungen zu verbessern: höhere Gehälter für Universitätslehrer und rasant steigende Forschungsausgaben, zuletzt 6,83 Mrd. Euro pro Jahr. Das ist doppelt so viel wie noch vor zehn Jahren. Viel investiert wird auch in das Prestigeprojekt in Maria Gugging bei Klosterneuburg. In das Exzellenzzentrum für Naturwissenschaften namens Institute of Science and Technology Austria (ISTA) sollen bis 2016 mehr als 500 Mio. Euro fließen.
Die Zeit sei reif, so geben sich viele Politiker überzeugt, den Brain­drain, den Exodus österreichischer Wissenschaftler, in einen Braingain, einen Strom akademischer Rückkehrer zu verwandeln. Doch schwankt die Reaktion der Hochschulemigranten zwischen Sympathie, dass nach jahrzehntelanger fruchtloser Reformdebatte endlich jemand den Mut hat, „heilige Kühe“ zu schlachten – und Skepsis. Reicht es aus, dem Wissenschaftssystem ein paar neue Strukturen, etwa nach amerikanischem Vorbild, einzupflanzen, um es international konkurrenzfähig zu machen?

Akademisches Himmelreich
Schwer haben es hierzulande auch junge Wissenschaftler, die ungewohnte wissenschaftliche Methoden und Themen von ihren Auslands­aufenthalten mitbringen. Denn die Pforten des akademischen Himmelreiches bewachen die Universitätsprofessoren höchstselbst. Schwer hat es da, wer mit einem Thema zur Habilitation um Einlass bittet, das den Hochschullehrern nicht behagt, etwa weil es in andere Fachgebiete hineinragt. Interdisziplinarität nennt sich dieses Forschen zwischen den Fachgebieten. Es wird in jeder Festrede über die Zukunft der Universität gepriesen – im Alltag jedoch sabotiert. Doch hat eben eine Forschung, die nicht die Grenzen des Wissens sucht, sondern das Bekannte bedient, keine Zukunft. Und sie scheucht junge, talentierte Wissenschaftler in die Welt hinaus.
Wissen ist zum Rohstoff der Zukunft geworden, nach dem weltweit geschürft wird. Wer es nicht schafft, den Talentpool des eigenen Landes oder anderer Länder anzuzapfen, droht wissenschaftlich und damit wirtschaftlich in die zweite Liga abzusinken. Die Vereinigten Staaten haben das begriffen. 21 Prozent des wissenschaftlichen Hochschulpersonals stammt aus anderen Ländern. Hierzulande dagegen ist ein nichtösterreichischer Professor noch seltener als eine Frau auf einem Lehrstuhl.

Economy Ausgabe 86-08-2010, 27.08.2010