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16. April 2024

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Die Demokratie in der Krise

Die Demokratie in der Krisepiqs.de/David Shankbone

Beim dritten Globalisierungsforum an der Donau-Universität Krems diskutierten führende internationale Experten neue Herausforderungen für eine funktionierende Demokratie in Europa.

Wird durch mangelnde Wertschätzung der Demokratie der Boden für Nationalismus und Populismus bereitet? Hat die Demokratie in Südosteuropa und in der Türkei eine Chance? Welche Rolle spielt das Internet? Welchen Weg kann die Demokratie in Europa gehen? Mit diesen Fragen beschäftigte sich eine hochkarätige Expertenrunde beim soeben zu Ende gegangenen Globalisierungsforum der Donau-Universität Krems.

Gemeinsame europäische Asyl- und Migrationspolitik fehlt
„Vor einem halben Jahrhundert war Demokratie noch ein Wort, das die meisten Menschen der nicht-westlichen Welt nicht kannten“, erinnert Othmar Karas, Abgeordneter des Europaparlaments und Mitglied der Teaching Faculty am Zentrum für Europa und Globalisierung der Donau-Universität Krems.
„Wir sind mit der Entwicklung der Demokratisierung in Europa noch nicht fertig sind. Die „Todesgrenze Mittelmeer“ gibt uns derzeit dazu „Anschauungsunterricht“, betont Karas. „Es rufen zwar alle nach einer europäischen Lösung aber es fehlen die politischen Instrumente um eine europäische Lösung zu erreichen,“ so Karas weiter. Der Grund dafür sei „das Fehlen einer gemeinsamen europäischen Asyl- und Migrationspolitik.“

Demokratie wird oft missbraucht
Vedran Dzihic, Politikwissenschafter am Österreichischen Institut für Internationale Politik oiip, wies auf einen weiteren Krisenherd hin. „Der Begriff der Demokratie ist durch die Alltagsverwendung sehr diffus geworden. Auch autoritäre Herrscher reden von Demokratie ohne es zu meinen, ganz im Gegenteil.“ Insbesondere in Südosteuropa konstatiert Dzihic „eine allgemeine Krise des Vertrauens und eine Manifestation des Misstrauens in die Politik und deren Institutionen.“
Dadurch entstehen Ermüdungserscheinungen der Demokratie, noch bevor diese Staaten überhaupt wirkliche Demokratien geworden sind. Dzihic zeigt jedoch auch das positive Beispiel Bosniens. Denn dort entwickelten sich aus den sozialen Protestbewegungen, die als Ausdruck des Zorns der Menschen entstanden waren, Bürgerversammlungen, die wieder den Kern der Demokratie in sich tragen.

Protest oder soziale Events
Im Unterschied dazu waren die Gezi-Proteste in der Türkei keine soziale Bewegung sondern vielmehr ein „soziales Event, das sich in keiner politischen Bewegung manifestieren konnte“, so Cengiz Günay, Senior Fellow an der oiip.
Die Ursache dafür sieht er im Fehlen gemeinsamer Ziele, die über die Solidarisierung gegen die ausgeübte Polizeigewalt hinausgehen. Jedoch hat die Gezi-Bewegung Witz und Humor in die politische Debatte gebracht und das sei „einer ihrer wichtigsten Beiträge“.

Der Traum von der internetgestützten Demokratisierung
„Das Internet kann die Demokratisierung unterstützen um die öffentliche Verwaltung transparent zu gestalten oder politische Mitbestimmung zu erleichtern,“ erläutert Peter Parycek, Leiter des Zentrums für E-Government an der Donau-Universität Krems.
„Doch stattdessen entwickeln wir uns zu einer Überwachungsgesellschaft,“ so Parycek weiter und meint dabei nicht nur die staatliche Überwachung der USA, sondern auch die durch Wirtschaft und Kriminalität, sowie die freiwillige Selbstüberwachung, zum Beispiel bei Gesundheitsdaten.
Die Reaktion darauf sei ein „digitales Biedermeier“, das Zurückziehen in geschlossene Netzwerke und verschlüsselte Kommunikation. „Wird das Recht auf verschlüsselte Kommunikation ein neues Menschenrecht?“ fragt Parycek und prognostiziert, dass sich „das bisherige Verständnis von Datenschutz zur Sicherung der Grund- und Menschenrechte verändern wird.“

Europäische Demokratie neu denken
Ulrike Guérot, Direktorin des European Democracy Lab in Berlin, entwirft das Modell eines neuen Europa. „Die Vereinigten Staaten von Europa waren gestern, die Europäische Republik könnte das Morgen sein.“ In dieser Republik müssten alle das gleiche Wahl-, Steuer- und Sozialrecht haben. Dadurch wäre kein „Lohn- und Steuershopping für Marktakteure mehr möglich“, betont Guérot.
Im abschließenden Forum erinnert Gudun Biffl, Dekanin der Fakultät für Wirtschaft und Globalisierung an der Donau-Universität Krems, dass trotz aller Krisen „das Experiment Europa in anderen Kontinenten bewundert und als Chance gesehen wird“.

Links

red/czaak, Economy Ausgabe 999999, 10.06.2015